Bondo – Ein Bergsturz von riesigem Ausmaß hat acht Wanderer aus Deutschland, Österreich und der Schweiz in den Schweizer Alpen überrascht. Sie werden seit Donnerstag vermisst, wie die Kantonspolizei in Graubünden mitteilte. Unter den Gesuchten befindet sich ein österreichisches Ehepaar, wie Thomas Schnöll, Sprecher des Außenministeriums, sagte.

Polizei und Angehörige konnten die Wanderer im Bondasca-Tal, einem Seitental des Bergell im Kanton Graubünden, telefonisch nicht erreichen. Die Gesteins- und Schlammlawine hat das Tal am Mittwoch auf einer Länge von fünf Kilometern teilweise mehrere dutzend Meter hoch verschüttet. Trotz intensiver Suche mit Helikoptern, Hunden und Handypeilung konnte zunächst niemand der acht Vermissten gefunden werden. Die Suche sollte auch in der Nacht auf Freitag weitergehen. Hubschrauber seien mit Wärmekameras im Einsatz. Dass sich die Wanderer in dem Gebiet aufhielten, war erst 24 Stunden später bekanntgeworden.

Eine zweite Wanderergruppe, die auch in dem Tal in Graubünden vermutet und vermisst gemeldet worden war, tauchte inzwischen unversehrt in Italien auf, wie eine Sprecherin der Polizei im Kanton Graubünden bestätigte.

Größter Bergsturz seit Jahrzehnten

"Das war der größte Bergsturz der letzten Jahrzehnte", sagte Martin Keiser vom Amt für Wald- und Naturgefahren. Rund vier Millionen Kubikmeter Gestein hatten sich am Mittwoch vom 3.369 Meter hohen Piz Cengalo gelöst. Die Gesteinsmenge entspricht fast zwei Cheops-Pyramiden. Erst im Laufe des Abends wurde das ganze Ausmaß des Unglücks erkannt.

Allein die Druckwelle der zerstörerischen Walze knickte viele Bäume um. Das Dorf Bondo am Talausgang musste geräumt werden. Rund 100 Einwohner kamen mit dem Schrecken davon, weil ein Vorwarnsystem Alarm geschlagen hatte. Der Bergsturz am Piz Cengalo war so gewaltig, dass die Erdbebenwarte in Zürich die Erschütterungen registrierte.

Beben registriert

Das Tal rund 35 Kilometer südwestlich von St. Moritz ist ein beliebtes Wander- und Bergsteigergebiet. Hubschrauber brachten schon am Mittwoch 32 Besucher und Wirte ins Tal. Feuerwehr, Polizei, Militär und Zivilschutz waren nach Angaben der Behörden mit 121 Einsatzkräften im Einsatz.

Die Wanderer hatten sich nach Angaben der Behörden in einem offiziell ausgewiesenen Gefahrengebiet aufgehalten. Die Gemeinde Bondo habe zuletzt am 14. August eine Warnung vor einem möglichen Felssturz herausgegeben, sagte die Gemeindepräsidentin Anna Giacometti am Donnerstag bei einer Pressekonferenz.

Warnungen im Vorfeld

"Die Leute haben gewusst, sie bewegen sich in einem gefährdeten Gebiet." Auch die Hüttenwirte hätten Wanderer auf die Gefahren aufmerksam gemacht, sagte Giacometti. Allerdings seien nur wenige Teile des Tales gesperrt gewesen.

Ein Bergsturz war von den Behörden erwartet worden. Er habe sich durch mehrere Felsstürze in den Jahren 2011, 2012 und 2016 angekündigt sowie durch ein Ereignis am 21. August, so der Schweizerische Erdbebendienst.

Zur genauen Herkunft der Vermissten, die nicht zusammen unterwegs waren, machte der Einsatzleiter der Schweizer Polizei, Andrea Mittner, keine Angaben. Laut österreichischem Außenministerium ist unter den acht Vermissten ein Ehepaar aus der Alpenrepublik. Das Auswärtige Amt in Berlin machte bisher keine Angaben zu den Vermissten.

Ob die Wanderer von herabfallenden Felsbrocken getroffen, von der anschließenden Schlamm- und Gerölllawine mitgerissen oder nur von ihrem Rückweg abgeschnitten wurden, war zunächst unklar.

Alpinisten sprechen von einem Bergsturz und einem Murgang. Bei einem Bergsturz brechen Felsteile in steilem Gelände weg und donnern mit Schutt Richtung Tal. Bei einem Murgang schieben sich Schlamm und Geröll mit Wasser abwärts. "Natürliche Tau- und Gefrierprozesse fördern die Verwitterung des Gesteins", heißt es auf der amtlichen Informationsplattform für den Umgang mit Naturgefahren (Planat).

ORF-Korrespondentin Raphaela Stefandl über den Bergsturz in Graubünden.
ORF

Bergstürze sind in den Alpen nicht selten. "Dadurch, dass die Alpen ein geologisch junges Gebirge mit markanten hohen Berggipfeln und tief eingeschnittenen Tälern sind, stellen niederstürzende Gesteinsblöcke ein fast alltägliches Ereignis dar", heißt es auf Planat.

Die Einwohner des Örtchens Bondo im Tal sahen riesige Staubwolken aufsteigen. Ein vor nicht allzu langer Zeit eigens installiertes Murgang-Warnsystem rettete womöglich einigen das Leben: Der Alarm ging im Dorf los, und wenig später schoben sich die grauen Geröll- und Schlammmassen direkt auf das Dorf zu.

Ein Murgang ist ein gewaltiges Naturereignis. Aus der Ferne sieht er aus wie ein breiter Lavastrom. Riesige Felsbrocken stürzen dabei in einer Schlammlawine bergab und begraben Wiesen und Straßen unter sich. Bäume und Masten werden umgerissen, Ställe und Gebäude stürzen innerhalb von Sekunden ein und werden mitgerissen. In Bondo waren es zwei Ställe. Insgesamt wurden zwölf Gebäude beschädigt.

Der Klimawandel könnte zu vermehrten Bergstürzen beitragen, berichtete die Arbeitsgruppe Naturgefahren des Kantons Bern. Wenn sich der Permafrost im Felsen zurückbilde, würden neue Trennflächen aktiv. Wenn sich Gestein ablöse, gebe es neue Fließwege für Wasser und neue Druckverhältnisse, was den Fels zusätzlich destabilisiere. (red, APA, 24.8.2017)