Tobias Moretti als Jedermann auf dem Domplatz.

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Salzburg – Dem mehr bis minder blinden Wirken der Macht entgeht niemand. Die sicherste Überwältigung durch die Kraft der Auslöschung verspürt zuletzt noch der Sterbende. Ihn kostet die Einwirkung des übermächtigen Todes das Leben. Von den Mechanismen der Macht, ihren vielfältigen Mätzchen und Maskeraden, war in Festspiel-Salzburg heuer viel die Rede. Das erstmals von Bettina Hering verantwortete Schauspielprogramm war denn auch mehr als die bloß pflichtschuldige Abarbeitung eines nebulösen Generalthemas.

Kaum eine Lustbarkeit auf der Bühne, die sich nicht zuletzt auf die Wirkungen von Macht zurückführen ließe. Jeder Wäschereizettel drückt das Wechselverhältnis von Macht und Ohnmacht sinnfällig aus. Man muss ihn nur als vitalen Ausdruck zwischenmenschlichen Zusammenlebens begreifen. Jede Asymmetrie erzeugt Ohnmächtige.

Wahrer Glücksfall

Ausgerechnet eine unter Zeitdruck zustande gekommene Neuinszenierung des Jedermann erwies sich im Jahr eins der Ära Hinterhäuser als wahrer Glücksfall. Selten wurde dem reichen Mann sein letztes Stündlein zynischer und dumpfer eingeläutet als dem wunderbaren Tobias Moretti. Kein Gespenst ist auf dem Domplatz umgegangen: keine weihrauchduftende Frömmelei.

Michael Sturminger gelang in und mit Hofmannsthals Worten ein erstaunlich zeitgemäßes Plädoyer für den Säkularismus. Risiken und Nebenwirkungen liegen auf der Hand. Das Bekenntnis zur Heilsgewissheit ist skeptisch ausgefallen. Der neue Jedermann ist eine bestenfalls agnostische Aufführung. Sie richtet sich dem Sinne nach an Aufgeklärte. Nur solche rechnen nämlich metaphysisch mit dem Schlimmsten. Sie wären, in Begriffen der Postmortalität gesprochen, von einer neutralen Hinwendung zum Nichtsein noch positiv überrascht.

Nicht vom Tisch der Zecher und Prasser ist damit eine generelle Neuregelung der Jedermann-Frage. Mit dem Verblassen der Hofmannsthal'schen Bußbotschaft wird die Notwendigkeit spürbar, die "Cashcow" für ihre ideologische Überlebtheit nicht noch weiter zu streicheln. Anders gesagt: Gerade mit Blick auf anstehende Jubiläumsjahre sollte man eine Neuprägung der Jedermannmünze ins Auge fassen. Tankred Dorst mag gestorben sein. Ferdinand Schmalz strotzt vielleicht noch vor allzu viel jugendlicher Unbedenklichkeit. Doch warum nicht nach Paris wallfahrten (Handke) oder nach Wien-Hütteldorf (Jelinek)?

Keine Macht ohne Foucault

Die Statur des Schauspiels in Salzburg wird man letztlich daran messen, ob man die richtigen Fragen – wie die nach der Macht – nicht auch anders stellen kann. Der biedere Aufweis, dass einem Bauernmädchen wie Hauptmanns Rose Bernd von bigotten Landwirten übel mitgespielt wird, verhilft zu keiner Einsicht. Es ist, als hätte der Suhrkamp-Verlag seine Foucault-Taschenbücher alle vergeblich verlegt.

Selbst Andrea Breths mürbe Beschäftigung mit Pinters Die Geburtstagsfeier glich einer Exkursion ins Museum. Macht nichts. Aparte Kunstanstrengungen wie Athina Rachel Tsangaris Lulu-Inszenierung weisen womöglich den Weg in die Zukunft. In ihr wird es Uraufführungen geben, Denkanstöße und Verzettelungen, auch und gerade von Frauen. Die Macht dazu haben die Festspiele. (Ronald Pohl, 24.8.2017)