Salzburger Festspiele mit Qualität und Intensität: Gerald Finley in "Lear", ...

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... Asmik Grigorian (als Marie) in "Wozzeck".

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Salzburg – Bereits in seinem ersten Jahr als Intendant der Salzburger Festspiele kann Markus Hinterhäuser als der erfahrenste Leiter dieser nicht gerade winzigen Kunstinstitution gelten. Zu Zeiten des Reformers Gerard Mortier gründete er (zusammen mit Tomas Zierhofer-Kin, nun Wiener Festwochenintendant) die Zeitfluss-Reihe, die viel Modernes brachte und (nach vielen Karajan-Jahren) die proklamierte Durchlüftung des Festivals unterstützte. Später war Hinterhäuser Salzburgs Konzertchef und in einem Übergangsjahr dann einspringender Intendant, bevor er zu den Wiener Festwochen wechselte.

Er ist also nicht angewiesen auf jene Milde, die ihm Eingewöhnungszeit gönnt – und Milde ist auch nicht nötig: Wer sich in die Salzburger Konzertplanung vertieft, entdeckt deutliche Spuren klassischer Moderne in fast allen Programmen. Da eröffnete die Ouverture Spirituelle mit Messiaen und Ligeti. Da gab es Schwerpunkte zum Komponisten Gerard Grisey, in vielen Programmen tauchten Schönberg, Berg und Bartók auf wie auch Scelsi. Diese Durchmischung der Epochen wurde zur Selbstverständlichkeit.

Gut so. Und auch die Anbindung der Konzerte ans Opernprogramm war erkennbar: Rund um Schostakowitschs Oper Lady Macbeth fand sich die Klangsprache des Russen auch in symphonischen Programmen. Es wurde kurzum einiges an durchaus "schräger" Kost in Regionen des Konzertmainstreams elegant implantiert. Fehlt nur noch, dass sich – zu der hohen Qualität der Interpretationen (toll, dass Dirigent Teodor Currentzis zugegen war) und den durchdachten Programmen – Uraufführungen dazugesellen. Sie gehören zu Salzburg.

Hohe Qualität

Im Opernbereich fällt zunächst das musikalische Niveau auf, welches – was auch in Salzburg eine Seltenheit ist – ohne Schwächen blieb und dem Begriff "festspielwürdig" regelrecht musterschülerhaft gerecht wurde. Ob Mozarts Titus oder Verdis Aida mit auch einem exzellenten Ensemble (rund um Anna Netrebko): Schwächen waren da nur im Szenischen zu erkennen. Die plakativ bebilderte Versöhnungsromantik von Peter Sellars (Titus) kam etwas seltsam daher, wie auch die bleierne Statik eines Konzertes in Kostümen (Verdis Aida) irritierte.

Solche Ausreißer gab es immer schon. Sie ändern nichts am insgesamt sehr beachtlichen Angebot: Bergs Wozzeck war in der gesamtkunstwerklichen Regie von William Kentridge ein Ereignis. Lady Mcbeth wurde von Andreas Kriegenburg und Dirigent Mariss Jansons prunkvoll umgesetzt.

Bereits da wäre schon von einem sehr guten Festspieljahrgang zu sprechen gewesen. Allerdings kam auch noch Aribert Reimanns Lear (mit dem grandiosen Gerald Finley): Die Wiener Philharmoniker unter Franz Welser-Möst zeigten, dass es alle Mühe wert ist, sich mit Modernem zu befassen. Und überragend die Regie von Simon Stone, mit dem Wechsel von Drastik und Poesie.

Mehr Risiko

Drei außergewöhnliche Produktionen, allesamt aus dem Bereich der klassischen Moderne: ein sehr guter Schnitt. Zu wünschen bleibt nur, es möge alles auf diesem hohen Niveau bleiben – der Rest könnte ins Reich der Träume verwiesen werden. Allerdings sind Träume nicht unwichtig: Eine innovative szenische Lesart zu Mozart vielleicht? Oder zumindest ein originell aufrüttelnder Amadeus wie Stefan Herheims Entführung in der Ära Ruzicka? Ist einen Traum wert.

Voller Respekt ist auch an die Zeit von Hinterhäuser bei den – nun im Argen liegenden – Wiener Festwochen zu denken; etwa an Glucks Orfeo ed Euridice in der sensiblen Regie von Romeo Castellucci. Von so etwas auch für Salzburg zu träumen bleibt wohl präventiv wichtig.

Die Salzburger Festspiele sind ja ein Gemischtwarenladen, der Vielfalt verträgt. Es ist aber auch ein erdrückendes Festival, dessen Strukturen und Zwänge den jeweiligen Intendanten prägen. Es sollte jedoch umgekehrt sein, und Träumen hilft dabei sicher. Hinterhäuser weiß das alles. So viel Erfahrung wie er hatte, wie gesagt, noch keiner. (Ljubiša Tošić, 24.8.2017)