Heimliche Blicke im Herrenhaus: Amsterdam liegt im "Tulpenfieber", doch der Porträtmaler hat nur Augen für die Frau des Händlers.

Foto: Thimfilm

Wien – Über den Wert der Dinge lässt sich bekanntlich trefflich streiten. Wer dabei jedoch materielle Absichten vor Augen hat, lässt sich in dieser Frage selten auf Diskussionen ein. Denn wer so denkt, für den bestimmt der Preis den Wert. Und einen besonders hohen haben jene Dinge, bei denen jener der Seltenheit hinzukommt.

KinoCheck

Zu Beginn des 17. Jahrhunderts in den Straßen von Amsterdam ist das nicht nur der Handel mit Tulpen, mit dem man über Nacht reich werden kann, sondern auch ein Farbton, der in Tulpenfieber eine weniger wichtige Rolle spielt. Und doch kommt der Farbe Ultramarin, für deren Herstellung die kostbaren Mineralien von weither über das Meer importiert werden müssen, eine bedeutende Rolle zu: Die holländischen Maler wünschen sie sich auf ihre Paletten, und wenn gegen Ende des Films die junge, reiche Ehefrau Sophia (Alicia Vikander) ihren Mantel am Hafen ins Wasser wirft, leuchtet das Blau des Stoffes wie ein letztes Zeichen aus dem Dunkel.

Doch dass es so weit kommt, dazu bedarf es nicht nur einer Verkettung unglücklicher Umstände, sondern einer klassischen Erzählung über Liebe und Eifersucht, bei der diese allzu menschlichen mit geschäftlichen Interessen einhergehen. So wie die holländische Kolonialmacht, angetrieben von der imperialistischen Gier nach Rohstoffen, expandiert, so agieren auch die Figuren in diesem Film: gehetzt, stets auf der Suche nach etwas, das ihnen eine größere Bedeutung verleiht als jene, die ihnen zukommt.

Tulpenfieber, basierend auf dem gleichnamigen Roman der britischen Autorin Deborah Moggach, erzählt zuvorderst die Geschichte des wohlhabenden Gewürzhändlers Cornelis Sandvoort (Christoph Waltz), der sich von seiner Frau einen Stammhalter wünscht. Während dieser Wunsch nicht in Erfüllung gehen will, macht der wiederholte Besuch eines jungen Malers, der das Paar porträtieren soll, die Situation für Sophia zwar komplizierter, aber auch lustvoller. Und dann gibt es einen Stock tiefer auch noch eine Magd, die eine heimliche Liebschaft mit einem Fischhändler unterhält. Häuser, Gassen und Grachten, darin sich Schicksale kreuzen.

Knoten um Knoten

Dass sich der in historischen Stoffen versierte Tom Stoppard (Shakespeare in Love) der Adaption angenommen und nach fünf Jahren, seit Anna Karenina, wieder für das Kino geschrieben hat, schlägt sich jedenfalls zu Buche: Unaufhaltsam verknüpft Stoppard die zu Beginn noch losen Erzählfäden zu einem Knoten nach dem anderen, wechselt geschickt die Perspektiven – und damit Lebenswelten – und macht zugleich die Magd zur Erzählerin des Geschehens. Das funktioniert mit dramaturgischen Kniffen, welche die ohnehin aufgeheizte Szenerie zusätzlich befeuern.

Das Verdienst von Regisseur Justin Chadwick, der wie Stoppard über die Bühne zum Kino fand, ist es hingegen, Waltz und Vikander im engen historischen Setting die nötigen Freiräume zu gewähren: gefangen in der dunklen Rembrandt-Szenerie, bedrängt von schwerem Mobiliar und Stoffen, sucht dieses Paar, das sich ein Leben als Zweckgemeinschaft eingerichtet hat, nach dem jeweiligen Ausgang.

Dass die Wege eine unterschiedliche Richtung nehmen, liegt aber nicht in dessen Händen. Sondern in jenen von Judi Dench, die als Äbtissin in ihrem Kloster am Rande der Stadt eine neue Tulpe zum Blühen bringt. (Michael Pekler, 25.8.2017)