Plimpton 322 gilt als antike mathematische Sensation. Sie zeigt, dass die alten Babylonier bereits über 1.000 Jahre vor Hipparchos von Nicäa, der als Vater der modernen Trigonometrie gilt, diese mathematischen Funktionen beherrscht hatten.

Foto: UNSW / Andrew Kelly

Sydney/Wien – Als Edgar Banks 1922 eine unscheinbare mesopotamische Tontafel aus dem Süden des heutigen Irak an den New Yorker Verleger George Arthur Plimpton verkaufte, hatte der umtriebige US-amerikanische Archäologe und Antiquitätenhändler vermutlich keine Ahnung, welchen Schatz er da aus der Hand gab: Auf der später als Plimpton 322 bekannten 13 × 9 Zentimeter großen Tafel hatte ein babylonischer Schreiber vor rund 3.700 Jahren eine mathematische Tabelle festgehalten, deren Inhalt zunächst mysteriös blieb.

Obwohl der österreichisch-amerikanische Mathematiker Otto Neugebauer bereits 1945 herausfand, dass die uralten Zahlenreihen im Hexagesimalsystem womöglich pythagoreische Tripel, also trigonometrische Funktionen, wiedergeben, war diese Ansicht lange Zeit umstritten – immerhin würde dies bedeuten, dass die Babylonier bereits mehr als 1.000 Jahre vor den Griechen die Trigonometrie gemeistert hätten.

Video: Daniel Mansfield erklärt, was es mit der Tafel Plimpton 322 auf sich hat.
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Unkonventionelle Mathematik

Nun aber ist es australischen Forschern gelungen, diese Annahme zu beweisen. Mehr noch: Daniel Mansfield und sein Team von der University of New South Wales stellten fest, dass auf der Tafel die Formen rechtwinkliger Dreiecke mithilfe einer unkonventionellen und zugleich äußerst akkuraten Variante der Trigonometrie beschrieben werden. Die Tabelle aus vier Spalten und 15 Zeilen zeigt demnach eine Sequenz von Dreiecken mit abnehmenden Winkeln, die auf Verhältnissen basiert, nicht auf Winkeln und Kreisen.

Die Wissenschafter vermuten, dass die Tafel ursprünglich sogar sechs Spalten und 38 Zeilen gezeigt hatte, die allerdings im Laufe der Zeit abgebrochen sein dürften. "Plimpton 322 repräsentiert damit eine simple Trigonometrie mit klaren Vorteilen gegenüber unserer eigenen, unter anderem weil sie auf der Grundzahl 60 und auf Relationen basiert", sagt Norman Wildberger, Koautor der im Fachjournal "Historia Mathematica" veröffentlichten Studie.

Kein bloßes Unterrichtsmaterial

Auf Grundlage ihrer Ergebnisse bezweifeln die Wissenschafter bisherige Annahmen, wonach die Tafel als bloße Unterrichtshilfe genutzt wurde. "Dieses leistungsfähige mathematische Werkzeug ist vermutlich vielmehr bei den Berechnungen zur Errichtung von großen Bauwerken wie Palästen und Tempeln zum Einsatz gekommen", meint Mansfield. (tberg, 24.8.2017)