Meir Shalev, "Mein Wildgarten". € 24,70 / 352 Seiten. Diogenes-Verlag, 2017

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Es gibt Pflanzen, die in hiesigen Breiten in Schlafzimmern wachsen. Zyklamen zum Beispiel. In Euphorie würde hierzulande wegen dieser Gewächse niemand ausbrechen – anders der israelische Schriftsteller Meir Shalev, der dem – wie er es nennt – Alpenveilchen in seinem Buch Mein Wildgarten ein Denkmal gesetzt hat. Zyklamen sind seine Lieblingsblumen, ihnen gilt seine volle Aufmerksamkeit. Im Wüstenland Israel sind sie das Schönste, was die Natur hervorbringen kann.

Natur als Metapher für die Betrachtung des Lebens: Das könnte eine Lesart dieser Sammlung von Kurzgeschichten sein, die allesamt in Meirs Garten in Nordisrael starten, doch sehr schnell diesen Boden verlassen, um über die Menschen in diesem Wüstenland zu berichten. Shalev liebt seine Heimat, er liebt die karge Erde und die kleinen Blüten, die sie hervorbringt.

Sein Garten, sagt er, ist seine späte Liebe. Wer Shalevs Romane mag, wird diese fantasievollen Kurzgeschichten lieben. Schon der Einstieg ist fantastisch. Eine Hochzeitsgesellschaft hat sich Shalevs Vorgarten für ein Fotoshooting ausgesucht – und zertrampelt seine geliebten Alpenveilchen. Voller Selbstironie ist auch die Erzählung von der Bekämpfung der Blindmaus, eine Art israelischer Maulwurf, der die Wurzeln seiner Gartenpflanzen frisst und von Shalev deshalb mit Inbrunst bekämpft wird, auch mit Auspuffgasen, die er in die unterirdischen Höhlen der Nager bläst. "Es gibt Dinge, die Juden nicht tun sollen", so sein lakonisches Urteil nach einem gescheiterten Versuch, der ihn über den Pazifismus und Geschichte im Allgemeinen nachdenken lässt.

Auch Ameisen, Bienen und Schlangen zollt er Tribut. Und auch der Kompostbehälter wird als Lebewesen beschrieben. Das ist so eindrücklich, dass man beim eigenen Komposthaufen künftig an Shalevs Garten in Israel denken wird. Schon nach ein paar Kapiteln ist zudem klar: Natur ist eine Sache der Wahrnehmung. Wenn Shalev von einem deutschen Schriftstellerkollegen erzählt, den er aufgeregt mit seinem Auto in die Wüste fährt, weil diese Wüste nur "einmal alle 20 Jahre blüht", der deutsche Kollege dabei allerdings einschläft und gelangweilt "wie in Bayern" sagt, wird den Lesern das Ausmaß an kultureller Unterschiedlichkeit vor Augen geführt. Auch der Mensch ist nur ein Produkt dieser Natur.

Doch nicht immer geht es um das große Ganze. Manche Kapitel sind ganz einfach nur Rezepte oder Küchentipps. So lernt man in diesem Buch, wie sich Zitronen optimalerweise auspressen lassen, warum Shalevs eingelegte Oliven besser als alle anderen sind und warum man Limoncello machen sollte, auch dann, wenn man ihn selbst nicht trinkt. In gewisser Weise ist Mein Wildgarten aber auch eine Art von erweiterter Biografie – Rafaella Shir, Shalevs Schwester, hat die hübschen Illustrationen beigesteuert.

Ist also Meir Shalev etwa die Barbara Frischmuth Israels? Die Antwort lautet: Ja. Shalev wartet noch einmal stärker mit Selbstironie auf. Selten blitzt eine Spur Verbitterung durch. Dann empfiehlt es sich, schnell zur nächsten Geschichte weiterzublättern, in der er selbst seine Bösartigkeit schon wieder vergessen hat. (Karin Pollack, Album, 26.8.2017)