Unter die Autoren gegangen: Literaturkritiker Ijoma Mangold und ...

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... US-TV-Komiker Trevor Noah erzählen autobiografisch.

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Sonntagsgottesdienste als vierstündige Events aus lautstarkem Klatschen, lauthals Singen, üppigen bunten Kleidern und grellem Make-up? Der deutsche Literaturkritiker Ijoma Mangold lernt sie als Mitte 20-Jähriger kennen, als er das erste Mal seinen ihm bis dahin fremden Vater in Nigeria besucht. Der in Südafrika geborene US-Fernsehcomedian Trevor Noah hingegen kennt solche Messen von klein auf.

Unter anderem von ihnen erzählen die zwei in jüngst erschienen Buchdebüts. Eine Parallellektüre lohnt sich. Denn bei allen Unterschieden ähneln die frühen Lebensgeschichten der beiden einander in vielem. Was sie verbindet, ist, als "Mischling" geboren worden zu sein.

In Mangolds Fall 1971 in Heidelberg als Sohn einer weißen Deutschen und eines zwecks Medizinstudiums nur auf Zeit dort lebenden Schwarzen. Unbedingt wollte sie ein Kind von ihm, obwohl sie wusste, dass sie es alleine würde großziehen müssen, weil er zurück nach Afrika gehen wird. "Nicht die Abwesenheit des Vaters ist das Problem, sondern die Spur, die er hinterlassen hat", schreibt Mangold in Das deutsche Krokodil rückblickend über das Befinden des so auf die Welt gekommenen Buben, der er ist.

Wie Trevor Noah mischt er Erinnerungen ans Heranwachsen mit Kommentaren aus Perspektive des heutigen Erwachsenen und Reflexionen über das Anderssein an sich. Sie zählen zu den interessantesten Stellen des Buches. Dann befällt Mangold etwa der Eindruck einer "kommunikativen Asymmetrie", wenn er jemandem seine Einschätzung möglicherweise rassistischer Vorkommnisse und politischer Inkorrektheiten geben soll: "Niemand widersprach mir. Ich hatte offenbar einen privilegierten Wahrheitszugang. Aber eine Diskurslage, in der die eine Seite bindend darüber entscheiden kann, was geltende Empirie ist, ist verkorkst."

Mögen Hautfarbe und Afrofrisur die oben beklagten Spuren des Vaters sein, der fremd klingende Vorname geht allein auf die Kappe der Mutter. Deren Hang zur Exzentrik habe ihm den eingebrockt, klagt der Ich-Erzähler. Die Kinderpsychologin ist damals nicht nur wegen ihres Berufs eine Exotin. Nicht wohlhabend, sondern antibürgerlich, aber kultiviert erzieht sie den Sohn zu Bildung und dazu, seine Ziele hochzustecken.

Im Prinzip treffen sich in der Biografie des jungen Ijoma drei der Zeit entsprechend neuartige Strömungen: Liberalität, Internationalisierung, alternative Erziehungsmodelle. Das Einzige, was er nicht zu spüren kriegt, ist Rassismus. "Leider gab es da nicht sehr viel", resümiert Mangold einmal nach diesbezüglichen Anekdoten gefragt. "Nirgendwo legte einem einer Steine in den Weg. Oder war ich blind und sah es nur nicht?"

Die Paranoia, die ihn ob seiner Andersartigkeit befällt, deren Hinweise und vermeintliche Reaktionen darauf er überall sucht, kommt aus seinem Inneren. Er schämt sich für den in der allgemeinen und eigenen Wahrnehmung armen, leidenden Kontinent seiner Abstammung, bewundert andererseits die deutsche Bürokratie. "Mein furchterregend gestochenes Hochdeutsch war gewiss ein psycholinguistischer Reflex und die Sprache meine sichtbarste Zugangsberechtigung zur deutschen Gesellschaft", analysiert er rückblickend. Dazu kann Mangold über seine Familie mütterlicherseits eine Schuldgeschichte aus dem Nationalsozialismus vorweisen.

Und er wird Thomas-Mann-Verehrer und Wagnerianer. Ironie: Jene Neigung zu Literatur und klassischer Musik macht den heutigen Literaturchef der Wochenzeitung Die Zeit damals mehr zum Außenseiter als seine Herkunft.

So ist es eine weitgehend eher gewöhnliche Coming-of-AgeGeschichte, die Mangold zu erzählen hat. Nicht "Roman", sondern der Titelzusatz Meine Geschichte steht folgerichtig mit auf dem Cover. Mit der eingangs erwähnten Afrikareise mischt sich dann viel lebhafte Beschreibung von Kulturunterschieden in die zweite Hälfte des Buches, von dem man den Eindruck nicht ganz los wird, jemand habe es vor allem geschrieben, weil er unbedingt eines schreiben wollte.

Verbrechen in Fleisch und Blut

Mit dem dramaturgischen Vorteil eines handfest tragischen Schicksals ist dagegen Farbenblind ausgestattet. Trevor Noahs Kampf ist kein rein psychologischer, sondern auch ein äußerer. Sein Problem ist ein strukturelles. Der englische Originaltitel bringt es auf den Punkt: Born a Crime. 1984, also zur Zeit der Apartheid in einem gegen die Rassentrennungsgesetze verstoßenden Liebesakt von einer Schwarzen und einem Schweizer gezeugt, wurde Noah in einer südafrikanischen Township tatsächlich "als Verbrechen geboren".

Die Gefahr, deshalb der Mutter weggenommen zu werden, prägt die ganz frühen Jahre und ist bis zum Ende der Apartheid – da ist Noah sieben – Ursache für ein Versteckspiel der beiden. Als Typ ähnelt Noahs Mutter der von Mangold: Auch sie hat sich trotz unmöglich erreichbarer klassischer Familienkonstellation das Kind gewünscht. Auch Noah wird die liebevolle, auf Bildung abzielende mütterliche Dominanz erst in späteren Jahren zu schätzen wissen. Weil sie ihm so Chancen statt Grenzen einimpfte. "Im Rückblick wird mir klar, dass sie mich wie ein weißes Kind erzog" – und zwar zu einer Zeit, als eine Besserung der Umstände nicht abzusehen war, erinnert er sich. Aber auch an eine strenge Hand: "Viele schwarze Eltern sind so. Sie versuchen, ihr Kind zu disziplinieren, bevor es das System tut."

Erläuterungen zu jenem wahnwitzigen Regime, das für seine Illegitimität als Mensch verantwortlich zeichnet, grundieren die Erzählung des als Moderator der US-Fernsehsendung The Daily Show mittlerweile weltweit bekannten Comedians. Nicht krampfhaft, sondern eher als finale Pointe, haben deren 18 Kapitel stets ihren Fluchtpunkt: mittels illustrativer Episoden aus Noahs Leben Aspekte der Rassenideologie aufzuzeigen und auszuleuchten. Historisch akkurat, praktisch amüsant.

Wenn er beschreibt, dass seine Großeltern ihn – anders als seine dunkelhäutigen Cousins – zur Bestrafung nie schlugen, weil sie vor den bunt sichtbaren Blutergüssen unter seiner Haut zurückschreckten, und daraus im Hinblick auf die Apartheid schließt, "wie leicht es für Weiße ist, sich mit einem System zu arrangieren, das ihnen nur Vorteile bietet", ist das ebenso klug wie von leichter Hand.

Das gilt für das gesamte Buch. Überwachungskamerabilder von einem Ladendiebstahl, auf denen er so hellhäutig erscheint, dass keiner ihn identifizieren kann oder auch nur auf die Idee kommt, er könnte der Gefilmte sein, stoßen ihn zu Reflexionen über Wahrnehmungsschemata an.

Immer wieder verändert und bestimmt sich nicht nur Identität, sondern sogar Farbigkeit im Kontrast verschiedener Hauttöne, Rassen und sozialer Klassen neu. Die Beliebtheitsrankings aus Mangolds Schulkarriere verkomplizieren sich bei Noah dank Rassenzugehörigkeiten noch. Dabei sei andererseits Sprache, schreibt Noah, und man erinnert sich an Mangold, noch bestimmender als Hautfarbe dafür, wen wir als zugehörig zu einer Gruppe erachten.

Noah ist gewitzt. Als Bub wie als Erzähler – von kaum überwindbarer sozialer Separation, (staatlichen) Repressionen, traditioneller Frauenbenachteiligung, aber auch von seiner jugendlichen Karriere als DJ und Schwarzmarkthändler erst von CDs, später von allem, was handelbar ist. Der Plan zu studieren gerät dabei ins Hintertreffen. Wirklich mies geht es ihm aber nur, als er in Untersuchungshaft und unter den Fäusten des Stiefvaters landet, der den kleinen Wohlstand, den Noahs Mutter sich und ihrer Familie erarbeitet, immer wieder versäuft. Die beginnende Comedy-Karriere nach dieser harten Zeit erwähnt er nur mehr am Rande. Uneitel und packend. (Michael Wurmitzer, Album, 26.8.2017)