Alberto Giacometti und Caroline Tamagno 1959 – im Gespräch in der Bar "Chez Adrien" in Paris.

Foto: Sammlung Jacques Polge, Paris

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2008 wurde Giacomettis "Porträt von Caroline" von 1963 bei Sotheby's in London für 14,6 Millionen Dollar versteigert.

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Wien – Lässt sich Alberto Giacometti (1901–1966) anders als in Schwarz-Weiß denken? Anders als zerknittert, zerfurcht, schmal, gebeugt vorstellen? Wie er, sein Tweedjackett über den Kopf gezogen, im Pariser Dauerregen eine Straße überquert. Wie der aus Stampa stammende Bildhauer, besser: Bildwerk-Former und Kettenraucher, natürlich mit der unvermeidlichen Zigarette im Mund, zwischen einer überhohen gipsweißen Statue und einem ebenso strichzarten pechschwarzen Geher selber einen Schritt macht. Wie er, über und über mit Gipsstaub bedeckt, in seinem winzigen Atelier in der heute verschwundenen Rue Hippolyte-Maindron in Montparnasse an seinen grazilen Figuren werkelt?

Der Schweizer ist einer der bekanntesten Künstler des 20. Jahrhunderts. Alles ist über ihn bekannt. Wirklich alles? Caroline, Muse und um fast 40 Jahre jüngere letzte Geliebte, scheint in Giacometti-Biografien auf. Doch was geschah mit ihr nach Giacomettis qualvollem Krebstod und seiner Beisetzung? Und sprach eigentlich jemals mit ihr über ihre Tage und Nächte mit dem Künstler?

45 Jahre danach...

Franck Maubert gelang ein Kunststück. Er machte sie ausfindig, 45 Jahre später, verarmt, gesundheitlich angegriffen, in einer spärlich möblierten winzigen Zweizimmerwohnung in Nizza. Beugt sie sich über die Brüstung ihres Balkons, kann sie einen kleinen Ausschnitt der Promenade des Anglais erhaschen.

Der 1955 geborene Maubert, seit Jahrzehnten in Paris ansässig, ist Autor dreier Romane und zahlreicher Essaybände über etwa Henri de Toulouse-Lautrec, Serge Gainsbourg und den Chansonnier Nino Ferrer wie über die Kunsthändlerfamilie Maeght, samt und sonders bisher nicht ins Deutsche übersetzt. Für Caroline erhielt er 2012 den Prix Renaudot de l’essai.

Zu Recht. Denn sein suggestiver, poetischer, blitzgescheiter Text lässt Giacometti, den nächtlichen Bistrohocker, Bordellgeher, Freund der Huren, skrupulös an seiner Kunst verzweifelnden Zeichner und Modelleur ungemein lebendig werden. In seiner Menschenzugewandtheit wie Harschheit, in seinem Willen, seine Modelle zu durchdringen, wie im habituellen Verfeuern in seinen Augen misslungener Arbeiten auf Papier und Leinwand.

Lebenslange amour fou

Oder als freigebigen Liebhaber, der der blutjungen, sanft unzuverlässigen Provinzlerin, die halbtags als Callgirl arbeitet, mit einem Fuß in der kriminellen Demi-Monde verankert ist und bald einen 80-jährigen Sugardaddy heiratet, einen feuerroten Sportwagen kauft, mit dem sie durch Paris rasen. Und dabei Stopps einlegen, damit Giacometti Zeichnungen und Skizzen aufs Papier werfen kann, die er 1969 in Paris sans fin gesammelt herausbringt.

Carolines Geschichte ist die anrührende, monumental zarte Geschichte einer lebenslangen amour fou. Der Verlag hat dem Text 20 Farbabbildungen mitgegeben, die der Originalausgabe abgehen. Ohnehin ist es ein ausnehmend schönes Büchlein geworden, mit feiner Typografie, farbigem Vor- und Nachsatzpapier und handschmeichlerischem Format. (Alexander Kluy, 28.8.2017)