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Weithin sichtbar: eine Pro-EU-Demo auf der Londoner Themse vor dem Parlament und dem Big Ben.

Foto: Reuters / Luke MacGregor

Wenn nicht alles täuscht, wird Brexit-Minister David Davis am Montag wenigstens einen PR-Fehler vermeiden. Bei der vorläufig letzten Verhandlungsrunde mit seinem EU-Kontrahenten Michel Barnier im Juli ließen sich Davis und seine Leute nämlich zum falschen Zeitpunkt fotografieren: Während vor den Plätzen der EU-Verhandler gewichtige Akten von Detailtreue und Kompetenz kündeten, blieb der Tisch auf britischer Seite bis auf ein kleines Notizbuch leergefegt. Immerhin prangte auf dem Gesicht des britischen Chefunterhändlers ein frohes Lächeln.

Beim neuerlichen Zusammentreffen am Montag dürften auch vor Davis' Platz reichlich Papiere liegen. Dafür haben über den Sommer die fleißigen Beamten des Ministers gesorgt; der 68-Jährige selbst hält es seinem früheren Stabschef zufolge eher mit der Dreitagewoche, weshalb ihn ein genervter Parteifeind auch als "faule Kröte" denunzierte. Optimismus jedenfalls besitzt der gelernte Zuckermanager zur Genüge: Davis zufolge kommen die Brexit-Verhandlungen "unglaublich gut" voran. Allerdings sei das für Außenstehende nicht immer erkennbar, schließlich gehöre zu Verhandlungen auch "konstruktive Zweideutigkeit".

Akute Probleme

Ob man das in Brüssel auch so sieht? Eindeutig ist dort vermerkt, dass von den sieben Arbeitspapieren, die London in den vergangenen Tagen veröffentlicht hat, lediglich eines von den akut anstehenden Problemen handelt. Dabei handelte es sich um die Verschriftlichung einer Vielzahl frommer Wünsche, die London in Bezug auf die zukünftige Landgrenze zwischen Nordirland und der Republik im Süden der Grünen Insel formuliert. In Dublin, Brüssel und London scheinen sich alle einig zu sein: Eine "harte" Landgrenze mit Checkpoints wie zu Bürgerkriegszeiten soll es nicht geben. Wie die Kontrolle von Gütern und Leistungen aber gehandhabt werden soll, bleibt offen.

ORF-Reporterin Cornelia Primosch berichtet aus London über die dritte Runde der "Brexit"-Verhandlungen.
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Irlands neuer Premier Leo Varadkar urteilte jedenfalls, das Papier lasse ihn "verwirrt und beunruhigt" zurück. Hinter vorgehaltener Hand sprechen irische Verantwortliche eine deutlich weniger diplomatische Sprache.

Drei Hauptfragen

Die anderen Positionspapiere – zu zukünftigen Handelsbeziehungen, zum Datenschutz, zur justiziellen Zusammenarbeit – behandeln allesamt die zukünftigen Beziehungen zwischen der Brexit-Insel und den 27 EU-Partnern. Damit wolle man "die Kommission unter Druck setzen", heißt es in London in schöner Offenheit. Die Sache hat nur einen Haken: Das Verhandlungsmandat der Staats- und Regierungschefs für Unterhändler Barnier erwähnt ausdrücklich die Lösung von drei Fragen: die irische Grenze, den zukünftigen Status von EU-Bürgern in Großbritannien sowie die Finanzverpflichtungen des scheidenden Partners. Erst wenn diese drei Probleme gelöst seien, könne ein neuer Gipfel im Oktober grünes Licht für Gespräche über die Zukunft geben.

Diese Brüsseler Position besaß von Anfang an etwas Künstliches: Wie kann man etwas über die neue Grenze zu Irland beschließen, wenn nicht feststeht, in welchem Verhältnis die sechstgrößte Volkswirtschaft zukünftig zum größten Binnenmarkt der Welt steht? Sind Verhandlungen übers Geld nicht automatisch verknüpft mit Zugeständnissen auf anderen Gebieten? Die Fragen zu stellen heißt, sie zu beantworten. Am Ende muss, um alle Seiten zufriedenzustellen, eine Paketlösung stehen.

Zweifel an Verlässlichkeit

Andererseits haben die Briten dem vom Brüsseler Rat festgelegten Verhandlungsablauf zugestimmt. Jetzt lautstark "Flexibilität", also Entgegenkommen zu fordern, fördert kaum das Vertrauen in britische Verlässlichkeit. London scheint nicht bewusst zu sein, wie viel Kapital es auf dem Kontinent bereits verspielt hat.

Dazu gehört der Umgang mit den mehr als drei Millionen Bürgern anderer EU-Mitglieder. Diese Woche wurden die Fälle von rund 100 Menschen bekannt, die vom Innenministerium völlig zu Unrecht zum Verlassen des Landes aufgefordert wurden. Was Premierministerin Theresa May als "unglücklichen Fehler" abtat, brachte den Betroffenen hohe Anwaltskosten und unnötige Sorgen. Das Positionspapier der Regierung von Ende Juni ließ zu viele Details offen. Davis bleibt diese ebenso schuldig wie einen Vorschlag über zukünftige Beiträge zum EU-Budget. Das ist eindeutig destruktiv.

Aus europäischer Sicht gilt noch immer: Zum Wohl der heimischen Wirtschaft und im Interesse des intensiven Handels zwischen Insel und Kontinent sind Kompromisse und Übergangslösungen nötig. Je sanfter der Brexit ausfällt, desto besser für die Briten und den Rest Europas. Freilich müssen Davis und die anderen EU-Feinde im Kabinett die Brücken, die man ihnen baut, auch betreten wollen. Danach sieht es einstweilen nicht aus, allen schönen Papieren zum Trotz. (Sebastian Borger aus London, 28.8.2017)