1963 in Klagenfurt geboren, lebt Lydia Mischkulnig lange schon in Wien.

Foto: Marko Lipus

Wien – Die Geschichte beginnt beim Pornoschauen an einem Wintertag in Wien und führt ans Tote Meer und in die Bibel, mit Zwischenstopps bei Mediamarkt und im Kosmetiksalon: Ein solches Resümee von Lydia Mischkulnigs Erzählung Die Paradiesmaschine, titelgebend für den gleichnamigen Erzählband der 1963 geborenen Autorin, ist zugegebenermaßen etwas reißerisch und freilich viel zu knapp. Es wirft aber auch Licht auf das raffinierte Spiel mit Temperaturunterschieden, das hier getrieben wird. Doch von vorne.

Hauptfigur Doris ist Drehbuchautorin und befasst mit einem Skript über die "Zusammenhänge zwischen ökonomischen Bedingungen und Porno". An jenem Wintertag indes will sie sich "Gutes tun, nicht nur Gutes denken", und sich endlich doch um Ersatz für einige defekte Haushaltsgeräte kümmern. Als Flaneurin im Elektromarkt erweist sie sich – räsonierend etwa über Billigproduktion – als hochreflektiert über ihr eigenes Eingebettetsein in ökonomische Zusammenhänge.

Und dann liegt da am Heimweg dieser nie zuvor bemerkte Laden, einer mit gar märchenhaftem Schaufenster: "Die Töpfchen waren mit goldenen Buchstaben beschriftet und die Deckel waren ebenfalls golden." An der Schwelle wartet die dazugehörige Hexe, eine Kosmetikerin, die nun sämtliche ihrer Proberln aufbieten wird, bis der mit so vielen Wassern gewaschenen, aber halt auch älter werdenden Doris klar wird, "dass doch noch einiges aus ihr herauszuholen ist".

Wehrlos gegen die Lockmittel

"Lockmitteln" ist sie ausgesetzt, das weiß sie freilich – und ist doch alsbald wehrlos gegen Iris, diese Wundertätige, fähig gar, "die Zeit umzukehren". Aus Gesteinsschichten von so-und-so-vielen Jahrhunderten vor Christus stammten die Wirkstoffe jener Creme namens "Dead Sea", wird erklärt. Und in ebensolche Sphären entschwebt Doris nun, fort aus dem Winter und gen Totes Meer, um sodann Sodom und Gommorha, aber auch die inzestuöse Geschichte des Lot und seiner Töchter zu assoziieren.

Der Preis für das sich auftürmende Pflegeset nähert sich derweil – "exklusiv für Sie, liebe Doris!" – jenem für die zu ersetzenden Haushaltsgeräte an, doch: "Worum geht es denn sonst im Leben, als sich etwas Gutes zu tun?", so fragt sich Doris nun. Und während sie weiter in dieses Gelobte Land der Schönheitsindustrie driftet, entsinnt man sich als Leser, wie die Erzählstimme im Zusammenhang mit Pornos zuvor vermerkte: "Das Begehren ist ein Bodenschatz, wer sich die Schürfrechte sichert, wird reich."

Darauf, dass die Illusion am Ende platzt, mag es indes weniger ankommen als eben auf die Art und Weise, wie meisterhaft Mischkulnig in diesem sehr zeitgemäßen Setting die Temperaturen schwanken lässt: Zwischen bester Freundin und eiskalter Verkäuferin changiert Iris; zwischen besserem Wissen und allzumenschlichen Gefühlen geht Doris in die Irre.

Global denken, lokal fühlen

Und tatsächlich ist genau dieser Sinn für die Hin- und Hergerissenheit des Menschen ein entscheidender roter Faden durch Mischkulnigs gesamten Erzählband: Immer wieder sind es nicht nur zwischenmenschliche Beziehungen, sondern auch jene zwischen der großen, weiten (Waren-)Welt und dem Intimisten, die Mischkulnig mit ihrer Sprachkunst mikroskopiert, hier essayistisch und näher an der Wirklichkeit, dort versponnenner, assoziativer.

Wird hier etwa von der Ankunft eines moderneren Silos auf einem Bauernhof erzählt, so geht es dort um ein Paar, das plötzlich feststellt, dass der freundliche Herr, der die Verliebten einst fotografierte, kein Geringerer als Helmut Newton war, wodurch plötzlich ein ganz neues Licht auf das – mittlerweile zerrissene – Bild fällt.

Selten fern ist indes in diesen Erzählungen, die man durchaus öfter lesen kann und sollte, eine magische Ebene. Sei es, dass Mischkulnig den Mythos von der Wasserfrau Undine variiert oder mehrfach Bibelbezüge einflicht. So etwa auch, wenn eine schwangere Angestellte angesichts einer im Fenster gefangenen, ebenfalls schwangeren Heuschrecke ins Reflektieren gerät – bei der es sich, nebenbei gesagt, um ein Futtertier für das Reptil im Terrarium der Bank gegenüber handelt.

Mit bedeutsamer Sensiblität nähert sich Mischkulnig indes auch der Sprache selbst: Mehrfach spielt auch der Klang der Worte eine entscheidende Rolle. Schöne Bögen spannen sich dabei etwa von einer kürzeren Märchenminiatur ("Barsch hänselt Gretel, während Hans Barsch entgrätet.") hin zu den größeren Erzählungen: Und so ist eingangs erwähnte Doris nicht zuletzt deshalb von der "Schönheit der Verkäuferin" Iris überzeugt, weil deren Name auf dieselbe Endsilbe lautet. (Roman Gerold, 28.8.2017)