Volkshilfe-Direktor Erich Fenninger und Sozialwissenschafter Georg Hubmann (li.) wollen Reformen im Bildungswesen, denn: Die Schullaufbahn von Kindern hängt vom Bildungsstand der Eltern ab.

Foto: Volkshilfe Österreich/Matthias Hütter

Wien – Die Schullaufbahn von Kindern hängt stark vom Bildungsstand der Eltern ab. Aus diesem Grund forderte die Volkshilfe am Dienstag die öffentliche Finanzierung von Schulausgaben und eine Gratis-Ganztagsschule, um Bildungschancen von Kindern von Einkommen und Bildung der Eltern zu entkoppeln. "Leistung entsteht nur, wenn Potenziale sich entfalten können", sagte Volkshilfe-Direktor Erich Fenninger am Dienstag.

In Österreich werde suggeriert, dass Schule gratis sei, sagte Fenninger. Ein Schuljahr verursache jedoch laut Arbeiterkammer durchschnittlich 855 Euro an Kosten. Dieser Betrag setzt sich aus Beiträgen für schulrelevante Veranstaltungen wie Schulskikurse, den Elternverein, Kopien, Kosten für Nachhilfe und Schreibmaterialien zusammen. Ein Viertel davon ist im September zu berappen. 86 Prozent aller im Sozialbarometer der Volkshilfe befragten Personen (1.001 Befragte ab 15 Jahre) haben den Eindruck, dass die Ausgaben für den Schulbesuch der Kinder gestiegen sind. Dies treffe besonders die fast 300.000 armutsgefährdeten Kinder und Jugendlichen, die meist aus Mehrkinderfamilien oder Alleinverdienerhaushalten stammen und deren Eltern häufig Langzeitarbeitslose, Wenigverdiener, Alleinerzieher und Migranten seien, erklärte Fenninger.

Armut bedeute Ausschluss

In Österreich bedeute Armut Ausschluss, sagte der Volkshilfe-Direktor: 54 Prozent der Befragten gaben an, mindestens ein Kind zu kennen, das aufgrund der finanziellen Lage nicht an einer Schulveranstaltung wie der Schullandwoche teilnehmen kann. Um ihre Teilnahme zu sichern, sei es notwendig, Schulausgaben öffentlich zu finanzieren, sagte Fenninger. Dies fände in Österreich auch Zustimmung: Laut Sozialbarometer stimmen sieben von zehn Befragen dieser Forderung zu.

Auch der Bedarf an zusätzlicher Förderung sei groß: Eltern würden jedes Jahr 110 Millionen Euro für Nachhilfe ausgeben, sagte Fenninger. Dies seien 660 Euro pro Schüler, der diese Leistung bezieht. Kinder, deren Eltern sich dies nicht leisten oder auch selbst nicht bei den Hausaufgaben helfen können, wären somit benachteiligt und hätten schlechtere Bildungschancen. Eine Gratis-Ganztagsschule mit Nachmittagsbetreuung würde Kinder fördern und Eltern entlasten.

Sozialindex erstellen

Georg Hubmann, Geschäftsführer des Marie-Jahoda-Otto-Bauer-Instituts, unterstützt diese Forderung. Die starke Abhängigkeit der Schulkarriere vom Bildungsstand der Eltern sähe man an den Übertrittsraten: 68 Prozent der Eltern aller Volksschulkinder, die in die AHS wechseln, haben Matura. In der AHS-Oberstufe sind es sogar 76 Prozent. In einer gemeinsamen Schule bis zum 14. Lebensjahr hätten alle Kinder bessere Chancen, sagte Hubmann. Mittels eines Sozialindexes könne man den tatsächlichen Ressourcenbedarf einer Schule ermitteln und die Einrichtung entsprechend finanziell ausstatten, um sicherzustellen, dass benachteiligte Kinder gezielt gefördert werden, so der Sozialwissenschafter.

Fenninger warf der derzeitigen Politik vor, bewusst armutsgefährdeten Kindern den Zugang zu besseren Bildungschancen zu blockieren und ihnen selbst die Schuld für ihr späteres Versagen zu geben. Armut sei jedoch nicht selbst verschuldet, sondern strukturell bedingt. Er forderte daher bessere Betreuungs- und Beratungsangebote für Familien in schwierigen Lebensbedingungen, ein Schulsystem, das sich auf die Stärken der Kinder konzentriere, und mehr Aufklärung über die Prozesse, die Armut und Ausgrenzung bedingen. An einem Modell für eine Kindergrundsicherung, die sich an den monatlichen Kosten orientiere, werde derzeit gearbeitet. (29.8.2017)