Eines hörte man in den vergangenen Wochen immer wieder: Die Situation um Nordkorea sei zwar gefährlich, die Kriegsgefahr bleibe aber gering. Immerhin habe man es mit rationalen Akteuren zu tun: Nordkorea sei vor allem an seinem eigenen Überleben interessiert und werde daher keinen Atomkrieg starten. Bei US-Präsident Donald Trump sei man sich zwar nicht so sicher, wie es mit seiner Rationalität bestellt sei. So wichtig sei das aber auch nicht, immerhin umgäben ihn nüchterne Generäle, die es zu verhindern wüssten, dass Trump etwas Unbedachtes tue.

An diesen Überlegungen ist vieles schlüssig, und vermutlich gelten sie nach dem jüngsten Raketentest Nordkoreas auch weiterhin. Das sollte aber nicht dazu führen, dass man sich in falscher Sicherheit wiegt. Denn auch eine andere Grundannahme bleibt wahr: Schon allein eine Fehlkalkulation der Intention des Gegners reicht sehr wahrscheinlich aus, um eine Katastrophe auszulösen. Das ist beunruhigend – vor allem deshalb, weil weder Nordkorea den Eindruck erweckt, die USA zu verstehen, noch in Washington viele Experten sitzen, die Nordkoreas Verhalten zu erklären oder gar richtig vorherzusagen wissen.

Und dazu kommt ein weiteres Problem: Viele Akteure in der aktuellen Krise haben ein Interesse daran, sie am Köcheln zu halten. Trump hält einen Konflikt mit Pjöngjang für einen guten Weg, um sich vor den Augen seiner Wählerbasis als harter Befehlshaber zu profilieren. Und je mehr seine anderen Skandale die Medien beschäftigen, umso mehr wird er den Konflikt auch als Möglichkeit sehen, von diesen abzulenken. Devise: Atomkrieg zieht immer.

Kampf um Autorität

Auch Nordkorea wird nicht aufhören, mit seinen Provokationen genau so weit zu gehen, wie es glaubt, gehen zu können. Machthaber Kim Jong-un kämpft mehr als fünf Jahre nach seinem Amtsantritt noch immer um Autorität, worauf die noch immer häufigen Säuberungsaktionen in seiner Partei hinweisen. Die außenpolitische Dauerkrise hilft auch ihm, seine Macht in Partei und Staat zu kräftigen.

Und schließlich kommt der Konflikt auch Japans Premier Shinzo Abe nicht ungelegen. Er kämpft noch immer darum, seine Pläne für eine Änderung der pazifistischen japanischen Nachkriegsverfassung umzusetzen. Die Dauerbedrohung durch Nordkorea macht es ihm einfacher, für Aufrüstung zu argumentieren.

Provokante Manöver

Auch Südkorea setzt die gemeinsamen Manöver mit den USA, die Nordkorea als Provokation sieht, unbeirrt fort. Die neue linksliberale Regierung in Seoul hält ebenso wie ihre Vorgänger Abschreckung vorerst für das beste Mittel, um einen Krieg zu verhindern, der für einen Großteil der Südkoreaner unmittelbare Todesgefahr bedeuten würde. Blässe in der Verteidigungspolitik zu zeigen, kann sich der neue Präsident Moon Jae-in auch innenpolitisch ohnehin nicht leisten.

Dabei gibt es seit langem Vorschläge, mit denen sich die Krise entschärfen ließe. Erst kürzlich haben China und Russland sie neu aufgelegt als gemeinsamen Plan präsentiert: Die USA und Südkorea sollten ihre Manöver beenden, Nordkorea dafür Atom- und Raketentests einstellen. Wahrlich keine revolutionären Ideen, aber es wäre einen Versuch wert, sie einmal umzusetzen. Solange weder die USA noch Nordkorea dazu bereit sind, wird es wohl weitergehen wie bisher: Auf kurze Beruhigungsphasen folgt die nächste Eskalation. Das ist gewollt, der Krieg nicht. Ausbrechen kann er trotzdem. (Manuel Escher, 29.8.2017)