Die Materialwissenschafterin Maria Poletti ist eine von wenigen Frauen auf ihrem Gebiet. Für ihre Arbeit zur Erforschung von thermodynamischen Prozessen innerhalb verschiedener Werkstoffe erhielt sie den heuer erstmals vergebenen Asmet-Forschungspreis.

Foto: Lunghammer / TU Graz

Graz – Black Metal, Death Metal oder gar schlichtes Heavy Metal gehören eher nicht zu den Metallsorten, denen die Leidenschaft von Maria Poletti gilt. Das Metier der gebürtigen Argentinierin ist vielmehr das hochsensible Innenleben von Leichtmetallen wie Aluminium, Magnesium oder Titanlegierungen. Wenn man weiß, wie diese Werkstoffe auf eine bestimmte Behandlung reagieren und sie in der Folge auch entsprechend bearbeitet, können sie nämlich Beachtliches leisten.

"Ich will herausfinden, was in der Mikrostruktur dieser Metalle passiert, wenn sie geschmiedet oder gewalzt werden", sagt die Materialforscherin vom Institut für Werkstoffkunde, Fügetechnik und Umformtechnik der TU Graz. Wie verändern sich etwa Korngröße oder Ausscheidungen durch Temperatur, Verformungsgeschwindigkeit und -grad?

Da die Materialeigenschaften durch die thermomechanischen Herstellungsprozesse etwa von Bauteilen für die Flugzeug- oder Fahrzeugindustrie maßgeblich mitbestimmt werden, ist die genaue Kenntnis dieser Einflüsse essenziell. "Wenn wir sie verstehen, können wir über die thermomechanischen Prozesse die Werkstoffeigenschaften designen", erläutert Maria Poletti. So braucht man beispielsweise für Flugzeugfahrwerke eine hohe Festigkeit, dennoch muss das Material leicht sein und eine bestimmte Steifigkeit aufweisen.

Für ihre Forschung zum Einfluss thermodynamischer Prozesse auf die strukturellen und funktionellen Eigenschaften bestimmter Leichtmetalllegierungen erhielt die Wissenschafterin heuer einen der mit 300.000 Euro dotierten Asmet-Preise. Diese Auszeichnung wurde heuer zum ersten Mal vom Verein der metallerzeugenden und -verarbeitenden Industrie in Kooperation mit dem Wissenschaftsfonds FWF vergeben.

Ziehen, biegen, stauchen

"Obwohl es sich bei meiner Arbeit um Grundlagenforschung handelt, ist sie auch für die Industrie von unmittelbarem Interesse", sagt die Wissenschafterin. "Wenn Schmiede- oder Walzprozesse nicht optimal an den Verwendungszweck des Materials angepasst sind, kann es zu Rissen oder gar Brüchen kommen – und das könnte katastrophale Folgen haben." Mit den richtigen Prozessparametern ist das vermeidbar.

Dem Innenleben der Leichtmetalle nähern sich die Forscher einerseits experimentell im Labor, andererseits über Simulation und Modellierung an. "Im Labor führen wir jeden Bearbeitungsschritt, der im industriellen Prozess stattfindet, gesondert durch", erklärt Poletti. Dabei werden die Materialproben an diversen Maschinen bei unterschiedlichen Temperaturen gezogen, gedrückt, gebogen und gestaucht.

Unter dem Mikroskop beobachten die Wissenschafter, was diese Behandlung im Metall bewirkt. Um die Experimente nicht für jede Anwendung neu durchführen zu müssen, werden entsprechende Modelle entwickelt. "Damit lässt sich vorhersagen, was bei verschiedenen Prozessparametern in einem Werkstoff passiert."

Subjektiver Zugang

Die Erforschung innerer Vorgänge ist selbst bei Leichtmetallen keine simple Mess- und Rechenaufgabe. Denn auch hier spielt der subjektive Zugang des einzelnen Forschers eine nicht unwesentliche Rolle bei der Suche nach und der Formulierung von Erkenntnis.

Deshalb werde in der 15-köpfigen Asmet-Arbeitsgruppe auch sehr viel interpretiert und diskutiert. "Keine Beobachtung ist zu 100 Prozent objektiv", betont Poletti. Aber genau das sei es, was die Materialforschung so spannend mache: "Hier arbeiten Menschen mit ganz unterschiedlichen Hintergründen zusammen – von Chemikern und Festkörperphysikern über Maschinenbauer und Elektrotechniker bis hin zu Geologen und Geophysikern."

Enttäuscht ist die Wissenschafterin über den trotz intensiver Bemühungen sehr geringen Frauenanteil in ihrem Forschungszweig. "Vielleicht beginnt man in Österreich zu spät damit, auch Frauen für die Technik zu begeistern", so ihre Vermutung. "Eigentlich sollte die Grundlage dafür schon in der Kindheit gelegt werden."

Welt unter dem Mikroskop

Sie selbst hatte diesbezüglich jedenfalls Glück. Ihr Vater, ein Petrochemiker, nahm sie schon im zarten Alter von vier Jahren ab und zu in sein Labor mit und ließ sie durch die Mikroskope schauen. Diese Erfahrungen entfachten in ihr eine Begeisterung für die Welt unter dem Vergrößerungsglas, die bis heute anhält. Mittlerweile ist es 17 Jahre her, dass sie für ihre Diplomarbeit aus dem heimatlichen Neuquén im Norden Patagoniens an die TU Wien kam. Was ihr hier bei aller Liebe zu Österreich aufgefallen ist: "Die starken Männernetzwerke!" Die habe man in Argentinien nicht in dieser Ausprägung, ist Maria Poletti überzeugt. "Vielleicht auch deshalb, weil schon zweimal eine Frau an der Spitze unseres Staates stand." (Doris Griesser, 3.9.2017)