Ein Großteil der Österreicher ist mit dem politischen System unzufrieden. Das ist durch Umfragen abgesichert – und dass rund 40 Prozent die Zukunft pessimistisch betrachten.

Sebastian Kurz ist es gelungen, den starken, aber diffusen Wunsch eines Großteils der Bevölkerung nach Veränderung, nach Wandel – verbal – zu erfüllen. Es gibt ein breites Gefühl, dass die Institutionen wie etwa die Sozialpartner an sich der Herausforderung einer drastisch veränderten Welt (Stichworte Globalisierung, Migration) nicht gewachsen sind; und dass "die anderen" – Flüchtlinge, aber auch sonstige "Privilegierte" – es auf "unsere Kosten" besser haben.

Kurz verspricht den Systembruch – mithilfe eingängiger, zeitgeistiger, aber detailarmer Begriffe.

Er spricht zunächst ganz allgemein vom "neuen Weg" und vom "richtigen Weg". Das signalisiert Veränderung, macht aber noch keine Angst. Auch weil er gemäßigt im Ton bleibt: Nur manchmal blitzt eiskalte Abwertung von anderen durch, etwa wenn er meint, wer sich in der Flüchtlingshilfe engagiere, wie etwa Ex-Raiffeisenchef Christian Konrad, wolle nur sein eigenes Gewissen beruhigen.

Besonders geschickt ist sein Begriff "neue Gerechtigkeit". Das ist an sich ein Slogan der Sozialdemokraten, aber bei denen wird das so verstanden, dass dem einen etwas weggenommen wird, um es anderen zu geben. Kurz unterstellt, dass es nur ein zu großer Staat ist, der den Leuten das Geld aus der Tasche zieht: "Es muss wieder mehr übrig bleiben." Davon fühlen sich offenbar auch Menschen angesprochen, die in hohem Maße vom Sozialstaat und seiner Umverteilung profitieren. Aber natürlich vor allem solche, die sich selbst als Leistungsträger sehen.

Kurz will die Sozialversicherungen nicht sanft reformieren, sondern "das System aufbrechen". Was das genau bedeutet, bleibt offen – mit Ausnahme der Mindestsicherung, die erstens überhaupt so gestaltet werden soll, dass es wieder mehr Anreiz zum Arbeiten gibt, und die zweitens für Migranten gekürzt werden soll. Dass ein Drittel der Mindestsicherungsbezieher einfach nicht arbeitsfähig ist und die Migranten das System nicht sanieren werden, spielt da keine Rolle. Ähnlich ist es mit dem Gesundheitssystem, das nicht in eine Zweiklassengesellschaft führen dürfe und der Überregulierung, die kleinen Selbstständigen das Leben schwermache.

Beides sind Sanierungsfälle, aber "System aufbrechen" bedeutet letztlich, dem System Geld wegnehmen. In Österreich machen die Ausgaben für Gesundheit und Sozialstaat 30 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) aus.

Kurz macht das Versprechen, mit dem undurchschaubar, zum Teil auch ungerecht gewordenen "System Österreich" irgendwie aufzuräumen: "Wir haben ein aufgeblähtes System geschaffen." Und stößt dabei auf eine Stimmung in der Bevölkerung, die vage auch Veränderung will, sich aber über die konkreten Folgen nicht im Klaren ist.

Wenn Kurz seinen Systemumsturz wirklich umsetzen will, wird sich zwangsläufig für ziemlich viele im Lande einiges ändern. 14 Milliarden Euro über ein paar Jahre einzusparen geht nicht, ohne dass irgendwer weniger bekommt. Vielleicht ist am Ende das System wirklich besser aufgestellt und die Opfer haben sich gelohnt – aber dazu müsste man Genaueres wissen. Und das sagt Kurz bisher nicht. (Hans Rauscher, 29.8.2017)