Roland Schimmelpfennig legt seinen zweiten Roman vor. Eine Arbeiterstadt an der Küste ist der Schauplatz von "Die Sprache des Regens".

Foto: Heike Steinweg

Wien – König Vadim von Reval und Riga war in die Königin von Kastilien so sehr verliebt, dass er ob der emotionalen Erschütterung durch ihre Ablehnung 90.000 Meilen quer über den Globus zurücklegte, dabei in die Meere hinabstieg, sich unter Baumwurzeln verkroch und dort die Sprache der Steine und der Blätter oder die Sprache des Regens erlernte. Und so nennt Roland Schimmelpfennig nun auch seinen neuen Roman: Die Sprache des Regens.

Diese Märchenerzählung einer unerfüllten Liebe gibt im zweiten Prosawerk des deutschen Autors eine Spur vor, die den Glauben an eine Welt jenseits der Realität wachruft. Schimmelpfennigs Unterminierung der Wirklichkeit erinnert an die surreale Energie José Saramagos oder den Magischen Realismus Gabriel García Márquez'. Immerzu spürt man: Da ist noch etwas hinter den Figuren, den Szenen und dem Gesagten, von dem eine Wirkung ausgeht.

Dabei geschehen vorrangig alltägliche Dinge, wie schon in Schimmelpfennigs Romandebüt An einem klaren, eiskalten Januarmorgen ..., der im Vorjahr erschienen ist. Auch in Die Sprache des Regens sind es wieder wie zu einem Drehbuch montierten Szenen, die die sprachliche Kargheit bis hin zur Simplizität von Schulaufsätzen treiben. Wiederholungen inklusive. Das wurde als Hauptsatzmanierismus kritisiert. Doch diese Ausgespartheit erzeugt eine geradezu protokollarische Härte und Kälte, die der Prosa eine eigene Gravität verleiht.

Isabel besucht mit ihrem Freund nach neun Jahren ihre Heimatstadt an der Küste. Eine von Gewittern geplagte Industriestadt, die wie aus der Zeit gefallen zu sein scheint. Dort hat sich nicht viel verändert. Doch es geschehen seltsame Dinge. So schwimmt schon im ersten Satz eine Stadt auf dem Meer vorbei. Sie soll schwarz gewesen sein, andere sagen weiß, die Realität ist keine sichere Quelle in diesem Buch.

Es ist in der Stadt auch üblich, dass sich junge Burschen in der Nacht vor ihrem 15. Geburtstag in den Fluss stürzen, der zum Meer führt. Eine Mutprobe, die nicht alle überleben. Isabels Mutter Maria hatte es als Halbwüchsige ebenso gewagt, Ramiel war ihr nachgesprungen, eine jahrelange Freundschaft folgte, bis es bei der gewaltsamen Schließung des Tornado-Kinos zur Entzweiung kam: Ramiel stand als Polizist auf der Seite der Macht. Der Roman erzählt im Tun seiner über zwei Dutzend Stadtbewohner und Familienmitglieder von Wehrhaftigkeit und deren Gegenteil.

Zu Beginn wird Ramiel Maria ohne Angabe von Gründen verhaften. Niemand weiß, warum sie eines Morgens abgeführt wird. Ist es Rache für die einst entzogene Liebe, oder sieht der Vater zweier Söhne seine Welt in eine Schieflage geraten, für die er eine Schuldige braucht? Sein fünfjähriger Sohn liegt sterbenskrank im Fieber, sein 15-Jähriger kam vom Sturz in den Fluss nicht zurück.

Das Zusammenleben ist beschaulich, doch stets hat in minimalen Manövern ein Mensch sich gegen einen anderen zur Wehr zu setzen. Sei es eine entwendete Leiter oder ein erschlagener Hund, Schweigegeld im Bordell oder ein Schulunterricht, der den Behörden zu wenig sachlich war.

Roland Schimmelpfennig macht – das ist das Bemerkenswerte an diesem Buch – hinter der Oberfläche eines Kleinstadtlebens einen Kosmos erahnbar, der das tägliche Tun wesentlich mehr bestimmt als die üblichen Kausalzusammenhänge des Lebens. (Margarete Affenzeller, 29.8.2017)