Noch immer lecken die britischen Konservativen ihre Wunden nach der desaströsen vorgezogenen Unterhauswahl. Ein neuer Bericht bringt eine bittere Wahrheit an den Tag: Nur 533 mehr Tory-Stimmen hätten der Partei von Premierministerin Theresa May wenigstens die Demütigung erspart, die absolute Mehrheit zu verlieren. Die erstaunliche Rechnung stammt von der Electoral Reform Society (ERS), die den Ergebnissen der 650 Wahlkreise nachgegangen ist. Wie im Mehrheitswahlrecht vorgesehen, fiel die Entscheidung in heftig umkämpften Bezirken äußerst knapp aus.

Statt zuvor 330 zogen so nur noch 317 Konservative ins Unterhaus ein, neun weniger als für die eigene Parlamentsmehrheit nötig. Diese wäre erreicht worden, so die ERS-Zählung, wenn lediglich 533 Wahlberechtigte in neun Stimmbezirken ihr Kreuz bei der Regierungspartei gemacht hätten, statt für die letztlich dort siegreiche Partei zu stimmen. Dass so wenige Wähler eine so weitreichende Wirkung erzielen, habe "eine immer weniger vorhersehbare Situation zur Folge", urteilt die Gruppe, die sich für ein neues Wahlsystem einsetzt. Ein entsprechendes Referendum ging 2011 mit Zweidrittelmehrheit verloren.

Offenbar verstehen die Briten ihr Wahlsystem einzusetzen, denn vor allem EU-feindliche Torys verloren ihre satten Mehrheiten oder sogar das Mandat. Dabei hatte die Regierungschefin den vorgezogenen Urnengang damit begründet, sie brauche ein Mandat für den "harten Brexit". Eine erhebliche Anzahl von Wählern wollte aber deutlich machen, dass ihnen das gegen den Strich ging.

Nicht noch einmal mit May

Die Parteizentrale erarbeitet derzeit einen kritischen Bericht für das Jahrestreffen Anfang Oktober. Zu siegesgewiss und zu unkoordiniert seien die Torys in den Wahlkampf gegangen, heißt es. Nur unter der Hand wird auch das hölzerne Auftreten der Spitzenkandidatin für die verlorene Mehrheit – bei erheblichem Stimmenzugewinn auf 42 Prozent – verantwortlich gemacht. Dass die Partei nicht nochmals mit May eine Unterhauswahl bestreiten wird, gilt unter ihren Anhängern als ausgemacht. Der am Wochenende genannte Rücktrittstermin August 2019 wurde von der Downing Street dementiert. Die Chefin selbst weilt seit Dienstag in Japan. Dort sollte es um die Handelsbeziehungen nach dem Brexit gehen, die Gespräche dürften stattdessen von Nordkoreas jüngstem Raketentest dominiert werden. (Sebastian Borger aus London, 29.8.2017)