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Mesenchymale Stammzellen, die sich gerade teilen, unter dem Elektronenmikroskop: Die körpereigenen Rettungskräfte dürften eine zentrale Rolle bei der Genesung von Organen und Geweben spielen. Woher sie kommen und was genau sie sind, ist unter Fachleuten noch umstritten.

Foto: Picturedesk / Science Photo Library / Gschmeissner

Krems – Der Schaden muss nicht groß sein. Eine kleine Muskelverletzung zum Beispiel reicht schon aus, oder eine Prellung. Zur Heilung wird umgehend eine ganze Armada aus Zellen und Signalsubstanzen aktiviert, und im Idealfall ist das Problem schon nach wenigen Tagen behoben. Aber wie gelingt das? In einige Bereiche des Reparaturregelwerks hat die Wissenschaft inzwischen einen halbwegs guten Einblick bekommen, doch zu anderen Mechanismen gibt es immer noch viel mehr Fragen als Antworten – die mysteriösen MSC eingeschlossen.

Das eigentlich englischsprachige Kürzel steht für "mesenchymale Stammzellen", und diese sind vor allem im vergangenen Jahrzehnt zunehmend ins Visier der Forschung geraten. Der Hintergrund: Nicht wenige Fachleute trauen den MSC fast magisch anmutende Kräfte zu.

In fast allen Körperregionen sollen sie präsent sein. Bei Bedarf könnten diese Stammzellen wie eine Art stille Reserve verschiedenste Zelltypen ersetzen. Damit allerdings nicht genug. Geschädigte Zellen werden anscheinend von MSC mit Hilfsstoffen, Erbgut-Abschriften (mRNA) und sogar mit Organellen versorgt (vgl. u. a. "Stem Cell Research & Therapy", Bd. 7: 125). Die Stammzellen würden somit als körpereigene Mikrosanitäter agieren. Bei der Genesung von Geweben und Organen dürften sie eine zentrale Rolle spielen, erklärt der Mediziner Michael Fischer von der Donau-Universität in Krems.

Die Thematik ist jedoch nicht unumstritten. Untersuchungen zu den Eigenschaften von MSC haben zum Teil widersprüchliche Ergebnisse geliefert. Oft werden sie als "multipotente" Stammzellen mesodermalen Ursprungs beschrieben. Mit anderen Worten: Die Zellen hätten die Möglichkeit, sich in vielerlei Formen umzuwandeln, und sie würden entwicklungsbiologisch alle einem bestimmten Keimblatt, dem Mesoderm, entstammen.

Dennoch fehlt bisher eine eindeutige MSC-Definition. Manche Experten glauben gar, ihre Kollegen jagen Phantome. MSC gäbe es nicht. Die besagten Zellen seien stattdessen gewebespezifisch, sie hätten keine gemeinsamen Wurzeln, und über ihre spezielle Fähigkeiten verfügten auch andere Zelltypen (vgl.: "F1000Research", Bd. 6: 524).

Michael Fischer sieht das pragmatisch. Man solle sich nicht so sehr an einer Bezeichnung wie MSC abarbeiten, sagt er. "Das ist ein Begriff, den der Mensch geschaffen hat." In der Natur seien die Grenzen nun mal fließend. Entscheidend sei vielmehr die Veranlagung, Gewebe und Organe regenerieren zu können, betont der Facharzt.

Hilfslieferungen in der Not

Fischer selbst befasst sich bereits seit vielen Jahren mit Stammzellen und war einer der Ersten, der eine ihrer Nischen außerhalb des Knochenmarks entdeckte, wie er etwa im Fachblatt "Arthritis and Rheumatism" zeigte. "MSC bestehen aus vielen verschiedenen Subpopulationen." So erklärt sich auch ihr weitverbreitetes Auftreten im Körper. Über den entwicklungsbiologischen Ursprung indes "ist das letzte Wort noch nicht gesprochen", meint Fischer.

Die Debatte um Begrifflichkeiten darf nicht darüber hinwegtäuschen, welch atemberaubend komplexe Prozesse von mesenchymalen Stammzellen bewerkstelligt werden. Zum einen ist da der bereits erwähnte Transfer von Organellen, allen voran Mitochondrien, den zellulären Kraftwerken. Ohne sie keine Energie. Daran wiederum haben geschädigte, sich regenerierende Zellen natürlich einen erhöhten Bedarf.

Die MSC können da Abhilfe schaffen. Sie bilden lange, hauchdünne Röhrchen, über die sie sich selbst mit den notleidenden in Verbindung setzen. Diese Leitungen dienen dann als Transportkanal für Mitochondrien und andere Hilfslieferungen. Es findet quasi eine Transfusion statt, mit den Stammzellen als Spendern.

MSC sind auch in der Lage, wachstumsfördernde Botenstoffe wie IGF-1 zu produzieren und freizusetzen. Zum Teil werden diese Substanzen in kleinen Kapseln, je nach Größe Exosomen oder Mikrovesikel genannt, verpackt. In solchen Behältnissen gelangen die Moleküle sicher zu den Zielzellen. Fachleute bezeichnen diese Abgabe biochemischer Signale als "parakrine Aktivität", und die damit verbundenen Effekte haben womöglich großes medizinisches Potenzial. "Unter gewissen Bedingungen können MSC immunmodulierend sein", erklärt Fischer. Die Stammzellen seien also in der Lage, mäßigend auf die körpereigenen Abwehrkräfte einzuwirken. Und das ist mitunter dringend nötig.

Entgleiste Entzündungen

Das Immunsystem gleicht gewissermaßen einer hochgerüsteten Kombination aus Armee und Polizei. Es ist ständig damit beschäftigt, äußere Feinde zu bekämpfen und innere Störenfriede in Zaum zu halten. Leider schießt es gelegentlich übers Ziel hinaus. Entzündungsreaktionen zum Beispiel können entgleisen, im schlimmsten Fall droht dabei dem ganzen Körper der physiologische Kollaps – eine Sepsis tritt ein. Auch Autoimmunerkrankungen sind das Ergebnis einer fehlgeleiteten Abwehr. Zur Behandlung wären zügelnde Kräfte willkommen. Die mesenchymalen Stammzellen könnten vielleicht helfen.

Die Erforschung solcher Möglichkeiten hat sich Fischer nun zur Aufgabe gemacht. Er und sein Team versuchen, die immunregulierenden Mechanismen der MSC biochemisch zu entschlüsseln. Des Weiteren sollen neue Methoden zur Kultivierung der Stammzellen entwickelt werden, damit sie auch in der Petrischale unter Beibehaltung ihrer Eigenschaften optimal gedeihen können.

Das Land Niederösterreich finanziert über die Förderagentur NFB das zunächst auf drei Jahre angelegte Projekt. Die Arbeit mit MSC bietet auch praktisch konkrete Vorteile, betont Fischer. "Sie können aus Operationsabfall gewonnen werden." So sei unter anderem abgesaugtes Fettgewebe eine erstklassige Quelle. Gelänge es, die anschließend kultivierten Zellen in großem Maßstab Botenstoffe produzieren zu lassen, könnte man diese gezielt als Medikamente nutzen. Doch das ist vorerst noch Zukunftsmusik. (Kurt de Swaaf, 4.9.2017)