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Zwischen Unmengen an rosa Kleidung mischen sich in vielen Geschäften auch Produkte, mit denen schon sehr kleine Kinder an ihrem Äußeren arbeiten können.

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Die Stöckelschuhe von Suri Cruise erregten 2009 viel Aufsehen.

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Es waren goldfarbene Schuhe mit Riemchen und Stöckeln. Diese Schuhe erregten 2009 ziemlich viel Aufsehen, denn getragen wurden sie von einer Dreijährigen, einer sehr berühmten Dreijähren, Suri Cruise. Die Tochter der Hollywoodstars Katie Holmes und Tom Cruise trug solche Schuhe damals nicht ein- oder zweimal, sondern sie schienen fixer Bestandteil ihrer Garderobe zu sein.

In diversen Magazinen kritisierte man zwar vor allem die gesundheitlichen Schäden von Stöckelschuhen an Kinderfüßen, doch der einhellige Tenor "viel zu jung!" machte auch ein Unbehagen deutlich, das über orthopädische Bedenken weit hinausging. Seitdem ist neben der Kritik an der "Pinkifizierung" von Mode und Spielzeug für Mädchen auch die Sexualisierung durch Kleider stärker in den Fokus geraten.

An die geteilte Warenwelt für Kinder haben sich inzwischen schon viele gewöhnt. Einhörner, Regenbögen und sehr viel Rosa sind in vielen Abteilungen großer Modehäuser das Angebot für Mädchen. Auch die Produktpalette an Accessoires ist groß und umfasst etwa kleine, einem Beauty-Case nachempfundene Köfferchen mit bunten Spangen und Haarbändern drin, Lippenbalsam oder kleine Spiegel. Bei den Buben fällt die Auswahl der Accessoires deutlich knapper aus – und das wenige hat auch nichts mit Schönheit zu tun. Hier gibt es Kappen, Sonnenbrillen oder Superheldendevotionalien.

"Hübsch" versus "stark"

Dass Mädchen und Buben so auf "hübsch" versus "stark" trainiert werden, erscheint vielen als überzogene Einschätzung. "Was macht das schon", meinen zahlreiche Eltern schulterzuckend, die wegen des bisschen Schnickschnacks für die Haare, Pastell und Tüll ihre Töchter noch nicht auf Äußerlichkeiten reduziert sehen wollen.

Wenn die Produktpalette Mädchen jedoch nicht nur "hübsch", sondern offenbar auch "sexy" machen will, gilt das aber für viele als klare Grenze. Erst kürzlich stand das Unternehmen Primark in der Kritik, nachdem eine Kundin Fotos der in Großbritannien erhältlichen Produktlinie "My First Bra" auf Twitter postete und dort die "gepolsterten BHs" für Mädchen ab sieben Jahren beanstandete.

Primark will hingegen die BHs nicht als gepolstert verstehen und verweist darauf, dass sie auch keine vergrößernde, sondern lediglich eine "stützende" und "formgebende" Funktion hätten. Was genau bei siebenjährigen Mädchen in Form gebracht werden muss, bleibt ein Rätsel.

Rückwärtsgang der Industrie

Vor dem "First Bra" ärgerten sich Kunden und Kundinnen schon über Schminksachen für Mädchen, BH-ähnliche Tops, tiefsitzende, knallenge Hüfthosen und eben Stöckelschuhe. 2008 hatten zwei Mütter in den USA die Idee, dass es doch herzig wäre, null bis sechsmonatige Babys in Stöckelschuhe aus Stoff zu stecken. Durchsetzen konnten sich die "Stöckelpatschen" zwar nicht, Bikinis und Miniröcke für Mädchen im Kindergartenalter sind inzwischen aber gang und gäbe.

Während Gleichberechtigung heute über weite Strecken als wünschenswertes Ziel gilt, legt die Industrie insbesondere bei Produkten für Kinder einen Rückwärtsgang ein. Und das ist kein Zufall, ist die deutsche Kulturwissenschafterin Sarah Dangendorf (Hochschule Hannover) überzeugt.

Im Vergleich zu den 1970er- oder 1980er-Jahren schwinden die Gewissheiten zunehmend, wie Mädchen und Buben sein sollten, sagt sie. "Durch die zunehmende Gleichstellung wird es umso wichtiger, die traditionelle Ordnung an anderer Stelle wiederherzustellen", so Dangendorf im Gespräch mit dem STANDARD. Seit den 2000er-Jahren beobachtet sie, dass sich Mädchen bereits im Volksschulalter zunehmend feminin und erwachsen inszenieren, sei es mit langen Haaren, körperbetonter Kleidung oder Accessoires.

Auch für Buben würde Attraktivität an Bedeutung gewinnen, jedoch bei weitem nicht in dem Ausmaß, weil ihre Geschlechterrolle weniger stark von einem idealen Äußeren abhängt als bei Mädchen, so die Autorin.

Akzeptiert werden

Dangendorf hat für ihr Buch "Kleine Mädchen und High Heels. Über die visuelle Sexualisierung frühadoleszenter Mädchen" (2012) qualitative Interviews mit Mädchen von neun bis 13 Jahren durchgeführt und sie selbst gefragt, warum sie denn all diese Produkte offenbar so mögen. Denn nach einem Hin und Her zwischen Eltern, die den Konzernen ihre Angebote vorwerfen, und Konzernen, die mit der Nachfrage argumentieren, landet man schließlich bei den Mädchen selbst. Dangendorf hat sich mit dem gängigen Argument auseinandergesetzt, dass die Mädchen derlei Mode und Accessoires nun mal haben wollen.

Eine Erklärung, die der Verein Pinkstinks, der sich gegen genderstereotype Produkte für Kinder einsetzt, nicht gelten lässt. "Mit der Entdeckung von Kindern als Marketingzielgruppe sind diese insbesondere durch Youtube, "Germany's Next Topmodel" und den Zeitschriftenmarkt einer frühen Sexualisierung und einem hohen Schönheitsdruck ausgesetzt", sagt Stevie Schmiedel, Geschäftsführerin von Pinkstinks Deutschland.

"Mit dem Argument des 'Wollens' machen es sich Eltern und Konzerne zu leicht", sagt auch Sarah Dangendorf. In ihren Interviews zeigte sich zwar, dass die Mädchen tatsächlich einem weiblichen Schönheitsideal nacheifern. Jedoch nicht, um schön zu sein, sondern um akzeptiert zu sein.

Stereotype Kindermode

Diesen Wunsch der Mädchen nach Akzeptanz sieht Dangendorf auch in einer hohen und ambivalenten Erwartungshaltung der Eltern begründet: Einerseits sollen sie ganz Kind sein, andererseits ist aber auch erwünscht, dass sie über ihr Äußeres zweifelsohne als Mädchen erkennbar sind, "und das setzt eine bestimmte Schönheitspraxis voraus".

Elternzeitschriften samt ihren Handlungsanleitungen zum perfekten Lifestyle mit Kind, vom Kinderyoga bis zur perfekten Ernährung – diese Ansprüche würden auch schon Kinder stressen. "Die Mädchen haben sehr früh ein Gespür dafür, worauf es ankommt. Sie wissen genau, welche Kleidung welchem Anlass entspricht und wie sie sich entsprechend verhalten müssen, sei es beim Lesewettbewerb oder beim Familienfest", weiß die Forscherin aus ihren Interviews.

Mit Spaß an Mode oder Inszenierung, wie das die Unternehmen oder auch Eltern gern behaupten, habe das absolut nichts zu tun. Stattdessen gehe es schlicht um Anpassung. Und das betreffe Mädchen aller sozialen Schichten.

Auch ist die stereotype Kindermode für Mädchen und Buben nicht nur Billigketten und somit einer weniger privilegierten Kundschaft vorbehalten. Zwar findet man G-Strings für junge Mädchen oder T-Shirts mit Aufdrucken wie "hot" oder "sexy" im gehobenen Preissegment tatsächlich seltener.

Andererseits gibt es bei teureren Marken besonders gekonnte Kopien von Designermode für erwachsene Frauen, die in Kindergrößen angeboten werden, beobachtete Dangendorf. Und während für viele im bürgerlichen Milieu Pink und Glitzer schlichtweg "Trash" ist, gehört die Frage nach dem Geschlecht auch in hochpreisigen Shops wie Petit Bateau zur Standardfrage eines jeden Verkaufsgesprächs, ohne die offenbar nicht entschieden werden kann, welcher Body für ein wenige Tage altes Baby passen könnte. Die strenge Geschlechtersegmentierung existiert auch in exklusiveren Geschäften, wenngleich in dezenteren Farben.

Sexualisiertes Angebot

Wer weder die Zeit noch das Geld hat, nach anderer, originellerer Kinderkleidung oder Unisexmarken für Kinder zu suchen, steht somit vor einem konformen und zunehmend auch sexualisierten Angebot. Und dagegen können die Einzelnen wenig ausrichten, ist Schmiedel überzeugt.

"Eltern sind damit überfordert, weil es Sisyphusarbeit ist: Die Kinder sind von Gender-Einteilungen überall umgeben. Wir raten Eltern, sich gemeinsam gegen das Gender-Marketing zu stellen, zu protestieren und dem Markt zu zeigen, dass wir da nicht mitmachen."

Sarah Dangendorf sieht auch bei den einzelnen Müttern und Vätern Handlungsspielraum. Sie sollten ihren Töchtern den Stress nehmen, wenn diese schon früh glauben, jetzt und künftig auf allen Ebenen glänzen zu müssen – von Attraktivität, Schule, Mutterschaft bis hin zu Selbstverwirklichung. "Diesem immensen Druck, der auf den Mädchen lastet, müssen wir entgegenzuwirken." Am besten als Vorbild, das auf das eine oder andere pfeift. Zum Beispiel auf das perfekte Styling. (Beate Hausbichler, 3.9.2017)