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"Die Sonne scheint, die Sonne lacht, das hat die Linkspartei gemacht": Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch im Wahlkampfmodus.

Foto: Reuters / Michelle Martin

Der Übergang ist etwas abrupt. Gerade noch haben in Rostock vor dem Rathaus die Ready Teddys "Rote Lippen soll man küssen" gesungen, da steht plötzlich Dietmar Bartsch auf der Bühne. Der Fraktionschef und Spitzenkandidat der deutschen Linkspartei macht zum Warm-up einen Scherz, der zum Standardrepertoire gehört, aber beim älteren Publikum gut ankommt: "Die Sonne scheint, die Sonne lacht, das hat die Linkspartei gemacht."

Rostock in Mecklenburg-Vorpommern ist ein Heimspiel für ihn, er hat hier seinen Wahlkreis. Nach wie vor bekommen die Linken in den neuen Bundesländern Zustimmung von 20 Prozent – sehr viel mehr als im Westen, wo viele von ihnen als linke Sektierer gelten. Wohingegen im Osten die Pragmatiker das Sagen haben. In Thüringen ist sogar ein Linker, Bodo Ramelow, Ministerpräsident. Er regiert dort geräuschlos mit der SPD und den Grünen.

Wieder Dritte werden

Um derlei Höhenflüge geht es aber bei der Bundestagswahl am 24. September nicht. Die Linke ist derzeit vor den Grünen drittstärkste Kraft im Bundestag, und so soll es aus ihrer Sicht auch bleiben. Man will wieder vor den Grünen ins Parlament einziehen, auch vor der FDP und der AfD.

Deshalb steht Bartsch jetzt auf der Bühne, die in einen großen Truck eingebaut ist, mit dem die Linke quer durchs Land fährt. "Truck-Tour" nennt sich das Konzept, klassischer Wahlkampf von der Bühne herab.

Bartsch spricht darüber, wie ungerecht der Reichtum in Deutschland vereilt sei, nennt dies "obszön" und erklärt: "Umverteilung ist das Gebot der Stunde." Doch Bartsch ist in Rostock, obwohl hier sein eigener Wahlkreis liegt, eigentlich nur die Vorgruppe vor der echten Band: Es kommt an diesem Nachmittag auch noch seine Co-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht, die ebenfalls Spitzenkandidatin der Linken ist. "Da ist sie", flüstert es aufgeregt auf den hölzernen Bierbänken. Handys werden gezückt, als Wagenknecht auf die Bühne steigt und den "lieben Dietmar" begrüßt.

Zwei Flügel der Partei

Hinter vorgehaltener Hand wird die Show bei der Linken als "Sahra-und-Dietmar-in-Love-Tour" veräppelt. Die beiden sind nicht die engsten Freunde, sie stehen für die unterschiedlichen Flügel der Partei: hier Bartsch, der Pragmatiker, dort Wagenknecht, die Parteilinke.

Doch Wagenknecht hat kein Problem damit, Bartsch zu degradieren. Sie spricht ungefähr viermal so lang wie er, konzentriert sich dabei auch auf das Thema Umverteilung und greift die deutsche Kanzlerin Angela Merkel hart an. "Gute Arbeit für gute Löhne", lasse diese plakatieren. "Das ist Verarschung von Wählern", höhnt Wagenknecht und bekommt viel Beifall. "40 Prozent der Bevölkerung haben heute weniger Einkommen als Ende der 1990er-Jahre. Jeder Fünfte in Deutschland arbeitet im Niedriglohnsektor", ruft Wagenknecht. Und da traue sich Merkel zu behaupten, Deutschland sei ein Land, "in dem wir gut und gerne leben"? Für Wagenknecht ist klar: "Diese Bundeskanzlerin hat keine Verlängerung verdient!" Sie rät ihr zudem, "ihre Emissäre mal nach Österreich zu schicken". Dort nämlich sei das Pensionssystem viel besser aufgestellt als in Deutschland: "Alle, auch Selbstständige und Beamte, zahlen in einen großen Topf, daher ist die Rente auch im Schnitt um 800 Euro höher."

Mehr von den Reichen

Im Publikum klatscht Pensionistin Bärbel. "Find' ich gut, was die Linke macht, die kümmert sich wirklich um uns kleine Leute", sagt sie und fügt hinzu: "Ich schätze Frau Merkel und ihre Leistung. Aber es ist nicht so, dass es allen in Deutschland gut geht." Die, die ganz viel haben, könnten noch mehr abgeben, meint sie. Das findet die Linkspartei auch.

Ihre Forderung: ein Mindestlohn von zwölf Euro statt wie derzeit 8,84 Euro, eine Mindestrente und eine Grundsicherung von 1.050 Euro. Dafür sollen jene, die über eine Million Euro verdienen, 75 Prozent Steuern zahlen.

"Wählen Sie die Linke, damit es nicht wieder zu einer großen Koalition kommt!", bittet Wagenknecht, macht aber deutlich, dass sie von SPD-Mann Martin Schulz enttäuscht ist: "Er signalisiert, dass er auch nichts groß ändern will." Bartsch hingegen sieht schon die rot-rot-grüne Option: "Es reicht nicht bloß, den Lokführer auszutauschen, der Zug muss in eine andere Richtung fahren." (Birgit Baumann aus Rostock, 30.8.2017)