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Die Wirtschaft Venezuelas liegt am Boden, ebenso die Landeswährung Bolívar. Daher greifen immer mehr Einwohner auf Onlinewährungen wie Bitcoin zurück – auch wenn es in dem Land illegal und von Gefängnisstrafen bedroht ist.

Foto: REUTERS/Edgar Su

Wien – Lange Schlagen vor und leere Regale in Supermärkten, eine Hyperinflation gepaart mit einer anhaltenden politischen Krise – Venezuela, das einst reichste Land Südamerikas, ist nur noch ein Schatten seiner selbst. Seit die Wirtschaftsleistung des ölreichen Staates mit dem Preisverfall des schwarzen Goldes in den vergangenen Jahren geradezu kollabiert ist, hat es sich auch zum am höchsten verschuldeten Land gewandelt. Den Alltag zu bewältigen ist für die Bevölkerung Venezuelas eine Herausforderung, und viele Menschen meistern sie nur mit ungewöhnlichen Maßnahmen.

Einige davon sind für Nicolás Maduro einfach nur "kapitalistische Parasiten". Gemeint hat der Präsident Venezuelas damit Händler und sogenannte Miner von Kryptowährungen, also Leute, die mit Rechenleistung von Computern Onlinewährungen wie Bitcoin oder zuletzt vermehrt Ethereum erzeugen. Was andernorts keine juristischen Probleme aufwirft, ist in Venezuela streng untersagt und wird mit Haftstrafen geahndet, schließlich ist es eine Möglichkeit, die strengen Kapitalkontrollen des Landes zu unterlaufen.

Bolívar verliert Kaufkraft

Diese zeigen ohnedies nicht die gewünschte Wirkung. Gemessen an den Schwarzmarktkursen hat die Landeswährung Bolívar seit 2012 gegenüber dem US-Dollar mehr als 99 Prozent an Wert verloren. Laut dem Internationalen Währungsfonds soll die Inflation heuer sagenhafte 1.100 Prozent betragen. Aber völlig dezentrale Onlinewährungen wie Bitcoin sind immun gegen die Probleme eines einzelnen Landes – egal wo sie geschürft werden. Ein Umstand, den sich immer mehr Venezolaner zunutze machen.

Der venezolanische Bolívar hat gegenüber dem Dollar massiv an Wert eingebüßt – ganz im Gegenteil zu Bitcoin & Co, die zuletzt gegenüber herkömmlichen Währungen stark aufgewertet haben.
Foto: APA/AFP/ROSLAN RAHMAN

Einer davon ist ein 29-jähriger Familienvater, der seine wahre Identität hinter dem Pseudonym "Brother" verbirgt. Als Staatsbediensteter hat er früher umgerechnet 43 Dollar monatlich verdient, zu wenig, um Frau und Tochter über die Runden zu bringen. Also hat er zunächst den Computer in seinem Büro zum Schürfen von Onlinewährungen genutzt, kurz darauf gekündigt und erzeugt seither auf seinen privaten Rechnern Bitcoin & Co. "Es ist wegen meiner Tochter", sagte "Brother" gegenüber dem Newsportal von CNBC. "Für sie muss ich das Risiko auf mich nehmen."

Denn neuerdings gehen Maduros Behörden scharf gegen Miner vor. Im Vorjahr mussten zwei Schürfer aus Valencia, der drittgrößten Stadt Venezuelas, wegen Energiediebstahls und des Besitzes von Schmuggelware für mehrere Monate ins Gefängnis. Seitdem nehmen Hausdurchsuchungen und Verhaftungen im Zusammenhang mit Kryptowährungen stetig zu, wobei Beschuldigten nun auch Geldwäsche oder Internetkriminalität zur Last gelegt wird. Heuer mussten vier Venezolaner mit der Begründung hinter Gitter, ihr energieintensives Schürfen von Onlinewährungen habe die Stabilität des Stromnetzes in der Stadt Charallave gefährdet.

Der Armut entfliehen

Keine Angst vor der venezolanischen Polizei braucht Davis Fernando Lopez mehr zu haben, seit er seiner Heimat den Rücken gekehrt hat. Zuvor hat er sich und seine Familie drei Jahre lang als Miner über Wasser gehalten – ihm zufolge damals seine einzige Möglichkeit, bitterer Armut zu entfliehen. "Man kann eine Familie mit einer Mining-Ausrüstung ernähren", beteuert Lopez. "Es ist eine Tatsache."

Bestätigt wird diese Aussage von "Andrea Perez", die eigentlich anders heißt und sich rund 120 Dollar jeden Monat erschürft. "Mich hat Bitcoin in die Lage versetzt, meine Tochter in einem unsicheren Umfeld zu unterstützen und ernähren", beteuert sie. Vielen Leuten würde es ähnlich ergehen, sagt der Exil-Venezolaner Lopez. Ihm zufolge ist der einfachste Weg, sich grundlegende Haushaltsartikel wie Zahnpasta, Seife, Shampoo oder auch lebenswichtige Medizin wie Insulin über US-Onlinehändler zu besorgen. Die Lieferung erfolgt aus Miami, die Bezahlung in selbstgeschürften Bitcoins.

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Die Regale in den Supermärkten des Landes sind in der Regel fast leer – ganz im Gegenteil zu US-Onlinehändlern, die auch gerne Bitcoins akzeptieren.
Foto: Reuters/UESLEI MARCELINO

Dass immer mehr Venezolaner ähnlich vorgehen, zeigt auch der Werdegang von Randy Brito. Er betreibt von Spanien aus ein Forum namens Bitcoin Venezuela, wo er das Schürfen von Bitcoins erklärt. Begonnen hat er mit einer Community von zehn Nutzern, heute zählt Brito, der mit 14 Jahren mit seinen Eltern aus Venezuela geflohen ist, schon beinahe 10.000 User auf seiner Seite. "Die Leute finden kaum ein Auskommen mit den Jobs vor Ort", sagt er, "daher haben viele erkannt, dass Mining ein Weg zu einem vorhersehbaren Einkommen für ihre Familien ist."

Beweismittel Stromrechnung

Auf die Schliche kommen die Behörden den Schürfern in der Regel über einen deutlich erhöhten Verbrauch an Strom, der Hauptzutat für das Minen von Kryptowährungen. Im ölreichen Venezuela ist Elektrizität spottbillig und wird stark von der Regierung subventioniert. Aber nun wacht die Polizei flächendeckend über den Energieverbrauch der Haushalte.

Auch Schürfer "Brother" ist deshalb besorgt. Er versucht nicht nur, seinen echten Namen im Internet nicht preiszugeben, sondern auch seinen elektrischen Fußabdruck zu verwichen. Er bezahlt befreundete Nachbarn dafür, ihren Stromanschluss nutzen zu dürfen, und verteilt so seinen Energieverbrauch auf mehrere Haushalte. Einen wasserdichten Schutz vor den Behörden stellt dies allerdings nicht dar. (Alexander Hahn, 1.9.2017)