Wien/Friedrichshafen – In der Affäre um manipulierte Dieselautos ist zuletzt auch der deutsche Zulieferkonzern Bosch ins Visier der Staatsanwälte geraten – Ermittlungen wegen Beihilfe zum Betrug laufen. Davon losgelöst ist die Sparte E-Bike Systems zu sehen, die laut Geschäftsführer Claus Fleischer – angesprochen auf deren wirtschaftliche Bedeutung – "ein Rundungsfehler im Ergebnis der Bosch-Gruppe" ist. Strategisch sei sie dafür umso wichtiger.

Bei der noch bis Samstag laufenden Eurobike, größte Fachmesse für Fahrräder weltweit, trumpft Bosch mit einer Neuheit auf: einem serienreifen Antiblockiersystem (ABS) für unterschiedliche Bikes.

Eine "Vorrichtung zum Verhüten des Festbremsens der Räder eines Kraftfahrzeuges" ließ sich Bosch bereits 1936 patentieren. Bis zur Massentauglichkeit des Produkts sollte es allerdings noch einige Jahrzehnte dauern. Das erste ABS für Motorräder kam dann Mitte der 1980er-Jahre. Und jetzt beim Fahrrad reiht sich Bosch erneut als Pionier ein.

Oft überfordert

"Fahrradfahrer sind in kritischen Situationen oft überfordert. Entweder bremsen sie zu heftig und es überschlägt sie oder sie bremsen aus Angst, sich zu überschlagen, zu wenig – mit der Folge, dass der Bremsweg lang ausfällt, manchmal zu lang", sagte Fleischer im Telefoninterview mit dem STANDARD. Man habe zwar Anleihen beim Motorrad-ABS genommen, die Regelungstechnik habe man aber komplett neu entwickeln müssen. Das liege auch, aber nicht nur an den unterschiedlichen Gewichtsverhältnissen.

"Ein Motorrad ist in der Regel drei- bis viermal schwerer als die Person, die darauf sitzt", sagte Fleischer. "Beim Fahrrad ist es umgekehrt, der Fahrer ist viel schwerer als das Rad." Das bedinge einen vergleichsweise hohen Schwerpunkt, der sich zudem ständig ändere. Die Kunst sei, dass die elektronische Regelung das mittels Sensoren, die den Luftdruck am Vor- und Hinterrad in Echtzeit messen, exakt registriert.

Herzstück im Produktionskatalog der 2009 gestarteten E-Bike-Sparte bei Bosch ist der Elektromotor. Damals war diese Einheit ein kleines Start-up innerhalb der Gruppe. Heute, acht Jahre später, ist Bosch mit seinen E-Bike-Systemen Marktführer im Premiumsegment.

Keine Angst vor Billigkonkurrenz

Angst vor Billigkonkurrenz aus Asien, die stärker nach Europa drängt, habe man nicht, sagte Fleischer: "Das ist ein anderes Segment, da sind wir nicht vertreten."

Bosch E-Bike Systems arbeitet mit allen bekannten Fahrradherstellern zusammen. Der Durchschnittspreis für ein E-Bike liege im Fachhandel bei 2000 bis 3000 Euro, für ein E-Mountainbike müsse man 3000 bis 5000 Euro kalkulieren. Zwar biete der Fachhandel auch günstigere Modelle an, dabei würden aber meist Kompromisse bei der Ausstattung gemacht, sei es bei Schaltung, Bremse oder Gabel, sagte Fleischer.

Bei Supermarkt- und/oder Baumarktprodukten, die noch billiger sind, handle es sich in der Regel um Importware aus Fernost, die in einer anderen, niedrigeren Qualitätsliga mitspielte, auch was Service betrifft. Ein Ende des Booms sieht der Geschäftsführer von Bosch E-Bike Systems noch lange nicht. In den Niederlanden und Benelux sei schon jedes dritte verkaufte Fahrrad ein E-Bike, in Deutschland jedes sechste, in Österreich jedes fünfte. In fünf Jahren sei quer über Europa eine Steigerung des Marktanteils von 15 bis 20 Prozent auf 30 Prozent realistisch. In zehn Jahren könnten es 50 Prozent sein. Fleischer: "Bis dorthin muss aber noch einiges passieren."

Die nächste größere Herausforderung werde jedenfalls eine Lösung für das leidige Diebstahlproblem sein. Mittels Sensorik, GPS und GSM soll das Rad geortet und bei Bedarf versperrt und auch wieder entriegelt werden können. Fleischer: "Das sind Lösungen, da ist man in der Branche gerade dran. Die nächsten zwei, drei Jahre werden wir noch eine ganze Menge sehen." (Günther Strobl, 1.9.2017)