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Kämpft gegen die Arbeitslosigkeit in seinem Land: Frankreichs Premierminister Édouard Philippe.

Foto: Reuters/Charles Platiau

Die Katze ist aus dem Sack. Nach drei Monaten Vorarbeiten und fünfzig Treffen mit den Sozialpartnern hat die Regierung von Präsident Emmanuel Macron am Donnerstag die Fakten zur Arbeitsmarktreform auf den Tisch gelegt. Hauptziel sei der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit (von chronisch zehn Prozent), erklärte Premierminister Édouard Philippe. Die Entwicklung seit 2012 gibt ihm recht: Während die Zahl der Joblosen in Deutschland und England in dieser Zeit um gut 500.000 gesunken ist, ist sie in Frankreich um eine halbe Million gestiegen.

Um international an Wettbewerbsfähigkeit zu gewinnen und die Investoren nach Frankreich zurückzuholen, will Philippe namentlich die Kündigungen finanziell erleichtern. Die französischen Unternehmen stellten vor allem deshalb keine neuen Mitarbeiter an, weil sie Angst hätten, sich im Notfall nicht mehr – oder nur sehr kostspielig – von ihnen trennen zu können. Die von den Arbeitsgerichten zugesprochenen Abfindungen sind in Frankreich rund doppelt so hoch wie in Deutschland.

Neu werden die Abfindungen für Entlassungen gedeckelt. Wer zum Beispiel nach zwei Jahren geht, erhält höchstens drei Monate Lohn. Nach dreißig Jahren Mitarbeit gibt es höchstens noch 20 Monatslöhne. Auch die Mindestabfindungen werden festgeschrieben. Die gemäßigte Gewerkschaft CFDT setzte sich mit einem anderen Anliegen durch, wurden doch die Abfindungen bei betriebsbedingten Kündigungen generell um 25 Prozent erhöht.

Werben um Konzerne

Entlassungen gelten neuerdings als gerechtfertigt, wenn die französische Niederlassung eines internationalen Konzerns Verluste schreibt. Bisher musste der ganze Konzern in den roten Zahlen stecken, was sehr selten vorkommt. Philippe will damit ausländische Großfirmen anziehen: Sie sollen sich leichter wieder aus Frankreich zurückziehen können, wenn ihre dortige Niederlassung scheitert.

Premierminister Philippe bezifferte nicht, wie viele Arbeitsplätze er damit schaffen will. Parallel zur Arbeitsreform sollen auch die Unternehmens- und Sozialabgaben gekürzt werden; geplant sei zudem ein Gesetz zur besseren Fort- und Berufsbildung. Das sei das wirksamste Mittel, um entlassenen Angestellten zu einem neuen Job zu verhelfen, meinte Arbeitsministerin Muriel Pénicaud.

Die Arbeitsmarktreform enthält insgesamt 36 Punkte auf 150 Seiten. Einige sind sozialpolitisch brisant, erlauben sie doch Ausnahmen von den Branchenabkommen und schmälern damit die Gewerkschaftsrechte. Bei Firmen mit weniger als 20 Angestellten kann der Patron künftig direkt mit dem Personal verhandeln; auch in Betriebsgrößen unter 50 Angestellten muss er nicht unbedingt mit den Gewerkschaften sprechen und kann Betriebsabstimmungen ansetzen, um Kollektivverträge auszuhebeln. So auch bei zentralen Themen wie Prämien oder der Arbeitszeit.

35-Stunden-Woche

Die Regierung scheute zwar davor zurück, die gesetzliche 35-Stunden-Woche – ein französisches Unikum weltweit – aufzuheben; Kleinunternehmen werden sich aber in Zukunft nach internen Absprachen darüber hinwegsetzen können.

Die radikalste Gewerkschaft CGT, die für den 12. September bereits Proteststreiks angekündigt hatte, erklärte durch ihren Vorsteher Philippe Martinez, "alle Befürchtungen" hätten sich "bewahrheitet". Die gemäßigte CFDT bezeichnet sich als "enttäuscht", schließt sich den Protesten aber trotzdem nicht an. Auch die bisher schwankende Force Ouvrière (FO) verzichtet laut ihrem Vorsteher Jean-Claude Mailly vorläufig auf offenen Widerstand.

Das könnte entscheidend sein. Vor einem Jahr noch hatte die FO die Opposition gegen eine erste Arbeitsreform unter Präsident François Hollande angeführt.

52 Prozent gegen Reform

Jetzt lobt die FO die Gesprächsbereitschaft der Macron-Regierung und hofft auf weitere Konzessionen bis zur endgültigen Verabschiedung der Reform in einigen Wochen. Doch Philippe erklärte am Donnerstag, der Text stehe fest und werde – wie vom Parlament bereits bewilligt – in einigen Wochen per Regierungsdekret in Kraft gesetzt.

Von den Franzosen ist heute eine knappe Mehrheit von 52 Prozent gegen die Reform. Nach der CGT will die Linkspartei Unbeugsames Frankreich von Jean-Luc Mélenchon ihrerseits am 23. September auf die Straße gehen. Die Regierung befürchtet, dass sich die Protestierenden mangels breiter Einheitsfront radikalisieren könnten. Innenminister Gérard Collomb hat bei Herstellern unlängst 22 Tonnen Tränengas bestellt. Das nicht nur wegen der Arbeitsreform-Proteste, betonen seine Berater. Für einen "heißen Herbst" auf dem Pariser Pflaster ist allemal gesorgt. (Stefan Brändle aus Paris, 31.8.2017)