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Die Brexit-Verhandler Barnier und Davis (vorne) traten am Donnerstag in Brüssel nach einer neuen Gesprächsrunde vor die Presse. Viel gab es nicht zu verkünden. Der Brite hatte dennoch gute Laune.

Foto: Reuters

Nach dem Brexit-Referendum traten die befürchteten negativen wirtschaftlichen Folgen nicht unmittelbar ein. Dies geschah, weil die Bank of England mit einer expansiven Geldpolitik – mit Zinssenkungen und einer Ausweitung des Kaufprogramms für Staatsanleihen – gegensteuerte und die Konsumenten auch um den Preis einer höheren Verschuldung weiter stark konsumierten und so das Wirtschaftswachstum stützten.

Es kam jedoch zu einer deutlichen Abwertung des Pfund, dessen Wechselkurs auch stark schwankt. Mitte 2017 betrug die Abwertung gegenüber dem Euro etwa 15 Prozent. Dadurch ist die importierte und damit die gesamte Inflation in Großbritannien stark gestiegen. Im Juni 2017 betrug sogar die Kerninflation ohne volatile Komponenten wie Öl- und Nahrungsmittelpreise 2,4 Prozent – mehr als das Doppelte im Vergleich zum Euroraum.

Den Gewerkschaften ist es nicht gelungen, höhere Lohnsteigerungen durchzusetzen, sodass die britischen Lohnsteigerungen unter der Inflationsrate liegen und damit die Realeinkommen fallen. Die britische Exportindustrie hat ihre Abwertungsgewinne vor allem für Gewinn- und nicht für Lohnsteigerungen genützt. Durch die höhere Inflation haben auch alle anderen mit fixem Einkommen, insbesondere die Pensionisten, verloren.

Eine Abwertung, bei der die dadurch ausgelöste höhere Inflation nicht durch entsprechende Lohnerhöhungen kompensiert wird, führt wie jetzt in Großbritannien zu einer Umverteilung von den Arbeitnehmern zu den Unternehmen.

Kommt es zu entsprechenden Lohnerhöhungen, führt das meist zu einer Lohn-Preis-Spirale, und durch die höhere Inflation geht die gewonnene Wettbewerbsfähigkeit bald wieder verloren.

Dies sollten jene bedenken, die, wie gewisse populistische Politiker, auch im Euroraum, Abwertungen als Königsweg zur Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit darstellen. Meist geht es ihnen darum, die Kosten einseitig den Arbeitnehmern umzuhängen.

Konsum bricht ein

Nachdem das Wachstum in Großbritannien 2016, gestützt durch die expansive Geldpolitik und die starke Konsumnachfrage, relativ stabil war, bricht es 2017 ein. Dies, weil die Konsumenten Kaufkraft verlieren und sie ihre Sparquote, die schon auf dem niedrigsten Stand seit 50 Jahren ist, nicht weiter senken können. Auch die Notenbank diskutiert bedingt durch die hohe Inflation eher eine restriktivere Geldpolitik und kann damit das schwache Wachstum nicht durch eine expansivere Geldpolitik ankurbeln.

Großbritannien wird 2017 und 2018 nach allen Prognosen von IWF, OECD und EU schwächer wachsen als der Euroraum. Dies, obwohl es noch volles Mitglied im EU-Binnenmarkt ist, den es ja erst mit dem Brexit Ende März 2019 verlassen wird.

Euroraum wächst

Der Euroraum dagegen ist durch den Brexit bisher kaum beeinträchtigt und erlebt einen stabilen Aufschwung mit Wachstumsraten um zwei Prozent, sinkender Arbeitslosigkeit und niedriger Inflation.

Premierministerin Theresa May hat das Austrittsansuchen gemäß Artikel 50 des EU-Vertrags Ende März 2017 gestellt. Es bleiben zwei Jahre Zeit für Verhandlungen, danach scheidet Großbritannien automatisch aus.

In den derzeit laufenden Verhandlungen geht es zuerst um die Austrittsbedingungen. Die Europäische Union hat klargestellt: Sie wird erst, wenn es hier eine für sie zufriedenstellende Einigung gibt, Verhandlungen über die zukünftigen Beziehungen aufnehmen. Die informelle Tagung der 27 EU-Regierungschefs in Brüssel am 29. Juni 2016 hat sehr klar ihre Position festgelegt: "Wir hoffen, dass das Vereinigte Königreich auch künftig ein enger Partner der EU sein wird, und erwarten, dass es seine diesbezüglichen Absichten bekundet. Jedes Abkommen, das mit dem Vereinigten Königreich als einem Drittland geschlossen wird, muss auf einem ausgewogenen Verhältnis zwischen Rechten und Pflichten beruhen. Voraussetzung für den Zugang zum Binnenmarkt ist, dass alle vier Freiheiten akzeptiert werden."

In den Verhandlungen wird es darum gehen, wie der Brexit mit möglichst geringen negativen wirtschaftlichen Folgen bewältigt werden kann.

Die langfristigen Kosten des Brexits werden davon abhängen, welchen Zugang Großbritannien zum EU-Binnenmarkt ausverhandeln kann. Die geringsten wirtschaftlichen Kosten für Großbritannien entstehen durch eine Teilnahme am Europäischen Wirtschaftsraum mit dem umfassenden Zugang zum EU-Binnenmarkt. Schon etwas höhere Kosten würden mittels Schweizer Modell der bilateralen Abkommen entstehen, durch die der Zugang nicht in allen, aber in den meisten Bereichen sichergestellt wird. In beiden Fällen wären allerdings hohe Beiträge in das EU-Budget zu leisten und auch die Personenfreizügigkeit zu gewähren.

Weiters gibt es das türkische Modell einer Zollunion, bei dem die Handelspolitik weiter in Brüssel durch die EU-Kommission gemacht werden würde.

Mit den höchsten wirtschaftlichen Kosten wäre eine Anbindung an den EU-Binnenmarkt nur über eine WTO-Mitgliedschaft verbunden.

Die meisten Studien kommen (je nach Anbindung an den EU-Binnenmarkt) zu leicht oder stark negativen wirtschaftlichen Folgen des Brexits für Großbritannien, lediglich eine Studie kommt unter äußerst unrealistischen Annahmen zu positiven Effekten.

Österreich wenig betroffen

Der Euroraum dagegen sollte wesentlich schwächer betroffen sein, mit Wachstumsverlusten von etwa 0,2 bis 0,3 Prozent; Österreich wäre mit etwa 0,1 Prozent weniger Wachstum unterdurchschnittlich betroffen.

Premierministerin May hat ursprünglich einen "Hard Brexit" angestrebt, ohne volle Teilnahme am EU-Binnenmarkt und mit einer vollen Kontrolle der Migration aus der EU. Das bedeutet, dass sie Assoziierungsabkommen, wie sie einige ost- und südosteuropäische Länder besitzen, oder Freihandelsabkommen, welche die EU mit vielen Ländern hat, angestrebt hat. Sie wollte durch vorgezogene Neuwahlen dafür ein Mandat erhalten. Seit sie aus diesen allerdings mit Verlusten hervorging und die Labour Party, die einen "Soft Brexit" will, gestärkt wurde, gibt es auch innerhalb der britischen Regierung wieder Stimmen für einen "Soft Brexit".

Übergangsregeln

Der britische Finanzminister tritt auch für eine Übergangsregelung ein, die Großbritannien für begrenzte Zeit – bis die permanente Regelung in Kraft tritt – den vollen Zugang zum EU-Binnenmarkt erhalten soll, und hat sich damit in der Regierung gegen die Vertreter eines harten Brexits durchgesetzt.

Zusätzlich wird Großbritannien, sollte es aus der EU-Zollunion ausscheiden, noch eine Vielzahl von Handelsabkommen mit anderen Ländern abschließen müssen, da die EU-Abkommen dann für Großbritannien nicht mehr gelten. Großbritannien muss nun entscheiden, welche zukünftige Anbindung an die EU es anstrebt, und den Spagat zwischen jenen, welche die Migration und den Einfluss der EU und insbesondere des EuGH begrenzen, und jenen, die weiterhin vollen Zugang zum EU-Binnenmarkt haben wollen, schaffen.

Je stärker die Vorteile der wirtschaftlichen Integration erhalten werden können, desto geringer die wirtschaftlichen Kosten für Großbritannien, aber auch die EU, desto höher aber auch die Beiträge Großbritanniens in das EU-Budget, und desto mehr Personenfreizügigkeit ist zu gewähren.

Premierministerin May hat auch die bisherige neoliberale Wirtschaftspolitik Großbritanniens entsorgt und angekündigt, dass in Zukunft der Staat stärker in die Wirtschaft eingreifen wird. So soll eine stärker keynesianisch orientierte Fiskalpolitik und auch Industriepolitik verfolgt werden. Sie versucht so die Kosten des Brexits zu minimieren. Das ist eine historische Wende, da Großbritannien seit Premierministerin Thatcher und auch unter Labour-Regierungen eine neoliberale Wirtschaftspolitik betrieb und sie in vielen Bereichen auch in der Europäischen Union durchsetzte.

Ende des Neoliberalismus

Die Labour Party hat eine noch radikalere Wende gemacht und tritt nun wieder für die Verstaatlichung von wichtigen Infrastrukturunternehmen ein. (Franz Nauschnigg, 31.8.2017)