Einen schönen Sommermontag am Badesee verbringen und dafür an einem verregneten Mittwoch etwas länger arbeiten?

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Wollen Sie flexiblere Arbeitszeiten? Also einen schönen Sommermontag am Badesee verbringen und dafür an einem verregneten Mittwoch etwas länger arbeiten? Oder einmal am Wochenende etwas arbeiten, um dafür einen freien Donnerstag mit den Kindern zu bekommen? So eine Flexibilität wünschen sich viele. Gerade die junge Generation will angeblich eine solche Flexibilität und sieht sie als wichtig für die Attraktivität von Arbeitgebern.

Vor diesem Hintergrund passt es ins Bild, wenn in Deutschland die Wahlprogramme der zentralen Parteien eine Flexibilisierung der Arbeitszeit beinhalten. Diese Idee wird als so gut angesehen, dass man darüber zwar kaum spricht, dafür steht sie aber auf dem Sprung in die Gesetzesänderung.

Die neue "Kapovaz"

Hinter dieser Initiative steckt aber weniger Menschenfreundlichkeit als vielmehr der knallharte Wunsch der Arbeitgeber nach auftragsabhängigen Arbeitszeiten. Das könnte zur "Kapazitätsorientierten variablen Arbeitszeit" (Kapovaz) ebenso führen wie zu den in England zulässigen Arbeitsverträgen mit einer vereinbarten Wochenarbeitszeit von "mindestens null Stunden" (Zero-Hour-Contracts).

Plötzlich geht es weniger um eine Flexibilität für die Mitarbeiter, sondern um eine Flexibilisierung ihrer Einsetzbarkeit: Wenn nämlich begrenzende Regelungen zur Arbeitszeit wegfallen, kann der Arbeitgeber leicht flexibel über den Mitarbeiter verfügen.

Wenn also der Sonntag wie heute üblicherweise nicht zur Regelarbeitszeit zählt, kann der Chef nicht verlangen, dass am Sonntag gearbeitet wird. Aber wenn der Sonntag Regelarbeitszeit ist? Sicherlich kann der Arbeitnehmer seine Arbeit in den Sonntag verlagern, falls – und nur dann – sein Chef damit einverstanden ist. Aber umgekehrt kann jetzt der Chef de facto verlangen, dass am Sonntag plötzlich gearbeitet werden und der Sonntagsausflug mit der Familie ins Wasser fallen muss.

"Work-Life-Blending"

Das alles – und noch viel mehr – sagen nicht nur Lobbyisten, sondern deutsche Personalvorstände: Sie beschäftigen sich seit 2016 mit diesem Thema und haben am 29. Juni ihre Wünsche im Kanzleramt in Berlin übergeben.

Bereits passend: Selbst gewerkschaftsnahe Vereinigungen wie die Hans-Böckler-Stiftung und die arbeitnehmernahe Inqa kümmern sich schon mehr darum, wie Mitarbeiter in Zukunft mit ihrer "ständigen Verfügbarkeit" leben sollen – aber weniger darum, ob Mitarbeiter dieses "Work-Life-Blending" wollen oder ob es betriebswirtschaftlich sinnvoll ist.

An dieser Stelle werden Romantiker ungläubig den Kopf schütteln und vertrauensvoll auf Traditionen wie Mitbestimmung, Sozialpartnerschaft, Vertrauen sowie Freiwilligkeit verweisen. Richtig. Diese Traditionen gibt es. Noch.

Denn wenn es nach den aktuellen Forderungen in Deutschland geht, könnten die Restlaufzeiten dieser Traditionen begrenzt sein. So sehen Personalvorstände in ihren Forderungen nicht nur explizit eine "Mitbestimmung light", sondern bringen auch Experimentierklauseln ins Spiel.

Wer würde diese Flexibilisierung wählen?

Sicherlich: Anders als bei der Flexibilisierung, die, soweit erkennbar, von allen Parteien vertreten wird, kommt bisher das offene Bekenntnis zu einem Modell der sogenannten Freiheitszonen, soweit erkennbar, ausschließlich aus den Reihen der FDP. Ihre klare Frage: "Regulieren wir zwanghaft im Voraus oder lassen wir es erst mal laufen und greifen, wie die USA, ex post ein? Halten wir die Sozialpartnerschaft hoch, wenn Gewerkschaften das Tempo bremsen?"

Diese "Freiheitszonen" könnten Mitbestimmung, Arbeitszeitgesetze und vieles andere außer Kraft setzen: Ein Anruf am Samstag "Morgen wird leider gearbeitet" ist dann vielleicht ärgerlich, aber verpflichtende Aufforderung.

Ob die Mehrheit in Deutschland unter diesen Bedingungen noch die sogenannte Flexibilisierung wählen würde, muss bezweifelt werden.

Vor allem die Jugendlichen der Generation Z wollen sowieso auch bei der Arbeitszeit lieber klare Regelungen und ganz sicher keine Mogelpackungen wie "Vertrauensarbeitszeit" oder "Freiheitszonen". Und betriebswirtschaftlich ist eine absolute Fremdbestimmung von Mitarbeitern verkehrt und ihre Begründung über Digitalisierung substanzlose Naivität selbsternannter Digitalisierungspäpste.

Radikalität. Notgedrungen?

Diese Fakten könnten aber in wenigen Monaten bedeutungslos sein. Denn hinter der FDP stehen zwar vielleicht nur sechs Prozent aller Wähler, doch vertritt die FDP ihrer Tradition gemäß durchaus schon mal gezielt die Interessen einer sehr kleinen Gruppe (Stichwort "Mövenpick-Steuer" nach der Bundestagswahl 2009). Und laut so ziemlich allen Berechnungen wird die FDP ab Oktober in der nächsten Regierung in Berlin vertreten sein.

Dann dürfte sie über den Koalitionsvertrag das problematische Modell der "Flexibilisierung der Arbeit" mit der noch problematischeren "Freiheitszone" kombinieren und beides über ihr Ministerium für Digitalisierung beziehungsweise ihren Staatsminister für Digitalisierung durchsetzen.

Damit könnte sich die Arbeitswelt wie durch die Agenda 2010 von Gerhard Schröder drastisch verändern – nur dass sich noch rascher weniger Gewinner und viele Verlierer herauskristallisieren werden.

Noch ist es möglich

Die gute Nachricht zum Schluss: Nicht alles, was sich Unternehmen und Politik ausdenken, wird Wirklichkeit. Manchmal kommt es anders, als man denkt – gerade weil man darüber nachdenkt. Deshalb sollten wir im Vorfeld an den entscheidenden Stellen laut Nein rufen, also mitdenken und mitreden: Unsere Zukunft wird nicht nur digital, und selbst Digitalisierung bedeutet nicht zwingend Marktradikalität. Es gibt viele andere Optionen und damit Chancen sowie Verpflichtungen, uns in die Diskussion über unsere Zukunft offensiv einzubringen. (Christian Scholz, 1.9.2017)