London/Alpbach – In 20 Jahren könnte es keinen Journalismus mehr geben, und er könnte vom Internet "getötet" worden sein. Diese Ansicht vertritt der langjährige britische Journalist und Autor Nick Davies im Gespräch mit der APA. "Ich halte das für möglich." Höchstwahrscheinlich überleben dürften spezialisierte Medien, andere Zeitungen aber hätten schwer zu kämpfen, sagte Davies am Rande des Forums Alpbach.

Der pensionierte frühere "Guardian"-Journalist, der vor fast einem Jahrzehnt das Buch "Flat Earth News" über Unwahrheit und Verzerrung in den Medien verfasste, sieht ein gefährliches Zusammentreffen mehrerer Umstände, das ihn zu dieser Diagnose veranlasst. Zum einen, dass "Nachrichten und Wahrheit in einer Zangenbewegung von zwei Seiten gefangen" seien. Soziale Medien-Netzwerke fungierten als "Kanäle der Unwahrheit, und das ist eine sehr gefährliche Situation. Es ist genau das Gegenteil davon, was die Gründer des Internets zu erreichen hofften."

Vorgefertigte Meinung statt sachliche Belege

Statt universaler Vernetzung gebe es "Informations-Whirlpools": "Rassisten sind jetzt in einer Position, wo sie nicht nur eine Zeitung kaufen können, die ihren Ansichten entgegenkommt, sondern sie können ihre eigenen Nachrichten produzieren, die rassistisch sind und von anderen Rassisten konsumiert werden können." Dasselbe könnten auch andere Gruppen wie beispielsweise Leute tun, "die glauben, dass die Welt von den Illuminati kontrolliert wird". Er sei solchen Personen begegnet und habe sie gefragt, woher sie das wüssten. "Und sie haben gesagt, das steht doch alles im Internet."

Davies sprach von einer "beängstigenden" Lage, in der sachliche Statements nicht aus dem Blickwinkel betrachtet würden, ob es dafür Belege gebe, sondern aus jenem, ob sie mit einer vorgefertigten Meinung übereinstimmten. "Und wenn ja, dann glaube ich das. Das Internet erzeugt also Informationschaos."

Internet zerstört Geschäftsmodelle für Journalismus

Die offensichtliche Lösung dafür wäre, "eine Industrie zu schaffen mit den Ressourcen und den Kompetenzen und der Kommunikationsfähigkeit, all diese sachlichen Erklärungen zu nehmen und zu überprüfen und dann der Welt zu sagen, was stimmt und was falsch ist. Diese Industrie würde man Journalismus nennen. Aber das ist die andere Seite der Zangenbewegung, dass das Internet das Geschäftsmodell zerstört, das es dem Journalismus seit der Industriellen Revolution erlaubt hat zu funktionieren."

Statt eine Zeitung zu kaufen, könne man heutzutage Nachrichten kostenlos online lesen, was besonders Google und Facebook beinhalte, "die Geschichten verbreiten, für deren Produktion wir bezahlt haben. Sie verteilen sie, ohne dafür zu bezahlen, und haben dann den Nutzen davon. Sie nehmen uns also die wesentliche Einkommensquelle weg – Leser, die für Zeitungen bezahlen. Und das geschieht überall in der entwickelten Welt."

Ordnender Berufsstand während des Informationschaos in der Krise

Hinzukomme, dass sie auch die zweite Einkommensquelle in Angriff nähmen – die Werbeeinnahmen, was "tödlich" sei. Und das "sehr Beunruhigende" sei eben, "dass genau zur selben Zeit, zu der sich Informationschaos entwickelt, jener Berufsstand, der sich damit befassen sollte, untergraben wird". Davies schlägt deshalb vor, beide Firmen zu "verstaatlichen", was allerdings eine "Fantasie-Option" sei.

Die Problematik der Einkommensrückgänge der Medien liegt für Davies vor allem darin, "dass Zeitungen ihre Belegschaft reduzieren, es weniger und weniger Auslandskorrespondenten gibt, weniger und weniger Leute, die im Newsroom arbeiten. Journalisten haben nicht genug Zeit, ihren Job ordentlich zu machen, sie können nicht mehr hinausgehen und Geschichten finden, sie haben keine Zeit dafür, alle Fakten zu überprüfen. Was das heißt, ist, dass sie sehr, sehr gefährdet sind, von einer Industrie manipuliert zu werden, die sehr viel mächtiger geworden ist, nämlich der PR-Industrie."

Staatliche Förderung als mögliche Lösung

Den Vorwurf, die Medien hätten die Entwicklung früher erkennen müssen, lässt Davies nicht wirklich gelten, denn das sei passiert. "Die tiefgreifende Schwierigkeit ist, dass niemand weiß, welches Geschäftsmodell wir finden sollen, das uns helfen könnte."

Als "gutes Zeichen" wertet Davies, dass der Journalismus "immer noch gute Leute" anziehe. Die Frage sei nur, ob sie ihre Arbeit machen könnten und irgendjemand das unterstütze. Eine Möglichkeit wäre vielleicht, dass Regierungen Mittel dafür bereitstellten, "zu versuchen, Nachrichtenorganisationen zu retten". Dies müsse jedoch in einer Weise geschehen, die "keine politische Einmischung erlaubt".

Medien sind allerdings nicht angesehen

Eine Schwierigkeit sei freilich auch, dass zumindest in Großbritannien Medienorganisationen nicht sehr angesehen seien, woran diese seiner Ansicht nach – Stichwort Abhörskandal, über den er auch ein Buch ("Hack Attack") geschrieben hat – auch nicht ganz unschuldig sind.

"Ich weiß also nicht, ob es dafür viel öffentliche Unterstützung geben würde." Wenn etwa in einer Kleinstadt jemand sagen würde, "die Lokalzeitung sperrt zu, und gleichzeitig hieße es, das hiesige Pub sperrt zu, dann wissen Sie, worüber die Leute unglücklich wären". (APA, 1.9.2017)