Herbert Schrott (91) wurde mit seinen Eltern deportiert.

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Zwei Betonschienen, die in einem dunklen Kubus verschwinden: Das neue Denkmal im Wiener Leon-Zelman-Park soll an die Juden und Jüdinnen erinnern, die vom Aspangbahnhof aus deportiert worden sind. Nur 1073 überlebten.

Foto: Christian Fischer
Foto: Christian Fischer

Für Herbert Schrott ist der Begriff mit Schrecken verbunden: "Transport' ist ein furchtbares Wort", sagt er. Zu viele hat er mitmachen müssen. Die Vergangenheit ist ständig präsent. Vor allem mittwochs, wenn er sich mit anderen Holocaust-Überlebenden im Kaffeehaus trifft, ist dieses Wort wieder gegenwärtig.

Schrott ist 16 Jahre alt, als die Gestapo ihn und seine Eltern in ein Sammellager der Nationalsozialisten im zweiten Wiener Gemeindebezirk bringt. Von dort wird die Familie, gemeinsam mit anderen Juden, in offenen Lastwägen quer durch die Stadt zum Aspangbahnhof gefahren – dem Ausgangspunkt der Transporte ins Ungewisse, in den Tod.

"Leute haben uns nur gesagt, dass wir gut dran seien, wir kämen in ein gutes Lager", erinnert sich Schrott. Das bezeichnet er noch heute frei von Zynismus als Glück – ein relativer Begriff.

Nur 1073 Überlebende

Bis in die 1970er-Jahre war der Aspangbahnhof auf dem heutigen Areal des Leon-Zelman-Parks im dritten Bezirk noch in Betrieb. Zentral gelegen, war er dennoch nur ein kleiner Nebenbahnhof und wenig frequentiert. Wahrscheinlich wurde er deshalb von der NS-Führung für die Deportationen der österreichischen Juden ausgewählt.

Die "Umsiedelungen" in die von der Wehrmacht besetzten polnischen Gebiete, wie die Deportationen euphemistisch genannt wurden, erfolgten auf Anordnung von Baldur von Schirach, Gauleiter und Statthalter von Wien. 1939 und 1941/42 fuhren 47 Transporte Richtung Osten. Das Grauen in Zahlen: 47.035 Juden wurden aus Wien verschleppt, nur 1073 von ihnen überlebten.

Jetzt, am 7. September um 12 Uhr, wird an der Stelle, wo einst der Bahnhof stand, ein Mahnmal der Stadt Wien eröffnet. Herbert Schrott wird dort eine Rede halten. Es könnte auch eine Abrechnung werden, denn für sein Empfinden kommt die offizielle Geste zu spät. "In Österreich dauert alles länger als in Deutschland", klagt er. Die Deutschen hätten einen ehrlicheren, besseren Weg gewählt, aber, sagt er mit einem bitteren Lachen: "Österreich war ja das erste Opfer."

Zentraler Erinnerungsort

Die Historikerin Heidemarie Uhl pflichtet ihm bei: "Im Gedächtnis der Stadt war der Aspangbahnhof lange nicht vorhanden." Dies, obwohl er ein zentraler Erinnerungsort für Opfer und Angehörige sei, denn: "Es ist der letzte Ort, wo man mit Sicherheit wusste, dass sie gelebt haben."

Deutlichere Worte findet der Schriftsteller und Historiker Doron Rabinovici, der in seinem Buch "Instanzen der Ohnmacht" die Rolle der Kultusgemeinde im Nationalsozialismus aufgearbeitet hat.

"Ich glaube, dass es lange Zeit kein Interesse an einem Denkmal gab. Es könnte damit zu tun haben, dass der Bahnhof faktisch mitten in der Stadt lag. Es könnte auch damit zu tun haben, dass man es gewusst und gesehen haben könnte. Wir wissen es nicht. Aber eigentlich waren diese Transporte etwas, was jeder wissen konnte", sagt er. Denn: "Nicht wenige Leute haben bei der Abfahrt der Lastwagen ja auch gejohlt".

Vergessen leichtgemacht

Zwar wurde 1983 ein kleines Mahnmal errichtet, doch das ging auf eine Privatinitiative von Holocaust-Überlebenden zurück. Auch bei dieser Eröffnung war Schrott anwesend. Über den kleinen, unscheinbaren Granitstein, der im Boden eingelassen war, sei "bald Gras gewachsen", sagt er – nicht nur sprichwörtlich. Die Natur hat das Vergessen leichtgemacht.

Dabei ist der Aspangbahnhof nicht nur für Wien ein Gedächtnisort, erklärt Uhl. Auch die Deportationen aus den Bundesländern wurden über diesen Bahnhof abgewickelt. Die Effizienz des NS-Systems brachte den Wienern "Ruhm" im Nazideutschland ein.

Alois Brunner, jener SS-Mann, der die Deportationen organisierte und Wien 1941 "judenfrei" meldete, wurde sogar einen Monat nach Berlin versetzt, um den Deutschen zu zeigen, wie man Transporte in die Konzentrationslager organisiert. Er starb erst 2008 oder 2009 in Syrien und wurde nie belangt.

Die dreiköpfige Familie Schrott kann dieser Todesmaschinerie beinahe entkommen. Sie alle besitzen ein gültiges Visum für die USA, nur können sie nicht genügend Geld für drei Tickets für die Schiffsreise auftreiben. Die Kultusgemeinde (IKG) verspricht zwar, sie zu unterstützen. Die Hilfe verzögert sich aber so lange, bis dieses Fenster für immer geschlossen ist. Im Jahr 1941 wird die Ausreise für Juden verboten.

"Verharmlost und verschwiegen"

Hat die IKG bis dahin noch mit der Zentralstelle für jüdische Auswanderung der SS zusammengearbeitet, um diese abzuwickeln, wird sie nun zur Erstellung der Deportationslisten für die Gestapo gezwungen. Als Kernthese seiner wissenschaftlichen Aufarbeitung nennt Schriftsteller und Historiker Rabinovici: "Sie hatten keine andere Chance."

Die ganze Position sei darauf ausgerichtet gewesen, Zeit zu gewinnen: "Wer kümmert sich um die Waisenhäuser? Wer um die Spitäler? Und kann man Menschen noch ins Ausland bringen? Rund 120.000 Menschen konnten in den ersten Jahren dank Kooperation auswandern." Man habe am Anfang nicht gewusst, wie das endet: "Jedes Mal ging es einen Schritt weiter, und es gab immer das kleinere Übel."

Das kleinere Übel: Schrott kommt gemeinsam mit seinen Eltern in das Konzentrationslager Theresienstadt. Zwei Jahre bleiben sie. Gegenüber manchen Mittwochsfreunden fühlt er sich deshalb "bevorzugt", sie hätten Schlimmeres erlebt. Theresienstadt will er keinesfalls beschönigen: "Die Menschen sind gestorben wie die Fliegen. Aber wenn man jung und gesund war, hatte man eine Chance."

Männer und Frauen werden zwar getrennt untergebracht, Herbert Schrott sieht seine Mutter dennoch jeden Tag. Bis wieder das verhasste Wort "Transport" fällt. Vater und Sohn kommen nach Auschwitz. Was das bedeutet, ist ihnen nicht bewusst. "Keiner hat sich vorstellen können, dass man wohin gebracht wird, wo man sofort umgebracht wird", berichtet er von der Selektion an der Rampe. Auf Auschwitz folgt Landsberg-Kaufering, ein Außenlager von Dachau. Sein Vater überlebt die Torturen nicht. Wenige Wochen vor dem endgültigen Untergang des NS-Regimes stirbt er.

Während die US-Truppen weiter in seine Richtung vorrücken, befindet sich der Sohn auf einem der berüchtigten Todesmärsche. Mit "Come on, boy" wird er eines Morgens von einem GI geweckt, und weiß, dass diese Unmenschlichkeit zu Ende ist. Bis er erfährt, dass seine Mutter noch lebt und sie schließlich auch in Wien findet, vergehen noch Monate. Der Augenblick des ersten Wiedersehens ist für ihn genauso präsent wie ihr erster Satz: "Wo ist der Papa?"

Beim neuen Mahnmal gehe es um Sichtbarmachung, Auseinandersetzung und Verantwortung, sagt der zuständige Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny (SPÖ). "Jahrzehntelang wurde auch in Wien die nationalsozialistische Vergangenheit verharmlost oder verschwiegen", bekennt er.

Eine bewusste Erinnerungspolitik habe sich "erst in den letzten zwanzig Jahren durchgesetzt". Diese Aufgabe soll das Denkmal des österreichischen Künstlerduos PRINZpod erfüllen – zwei 30 Meter lange Betonschienen, die in einem hohlen Betonblock enden, also im Nichts, im Finsteren.

Ob das Denkmal die Menschen zum Nachdenken anregen wird? Herbert Schrott ist skeptisch: "Ich glaube nicht, dass da jetzt viel darüber gesprochen wird." Bei ihm ist das anders. Am Mittwoch wird er seine Freunde wieder treffen. (Marie-Theres Egyed, Peter Mayr, 2.9.2017)