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Auch in Amatrice, wo ein verheerendes Erdbeben vor einem Jahr 299 Menschen tötete, standen illegal errichtete Gebäude.

Foto: AP Photo/Grgorio Borgia

Salvatore hatte es für sich und seine Gäste gemütlich und romantisch eingerichtet: Mehr als 30 Jahre lang betrieb der Lebenskünstler am kilometerlangen Strand zwischen Terracina und Sperlonga südlich von Rom eine kleine Bar mit Surfbrett- und Liegestuhlverleih. Die Lage ist traumhaft: Vor sich hat Salvatore das tiefblaue, kristallklare Meer und den feinen Sand. Die Idylle hatte nur einen Schönheitsfehler: Sie war von Anfang an illegal. Salvatore hat in drei Jahrzehnten für seine Bar nie eine Bewilligung eingeholt und nie Steuern bezahlt.

In diesem Frühling hat die Standortgemeinde Fondi dem ein Ende gesetzt: Statt die Bar abzureißen und Salvatore eine Buße aufzubrummen, haben die Behörden den Betrieb nachträglich legalisiert und dem Betreiber eine Lido-Konzession erteilt. Ausgestattet mit der Bewilligung der Gemeinde konnte Salvatore seinen Betrieb erweitern: Statt der kleinen alten Bar stehen dort nun ein im Chalet-Stil gebautes Restaurant und davor in mehreren Reihen neue Liegestühle und Sonnenschirme. Jetzt sind alle glücklich: Salvatore verdient sich eine goldene Nase, und Fondi kassiert von ihm endlich ein wenig Steuern.

15 Millionen Gesuche

Die Methode hat System: Seit den Achtzigerjahren sind in Italien 15 Millionen Gesuche für die nachträgliche Bewilligung illegal erstellter Gebäude bewilligt worden; fünf Millionen Gesuche sind anhängig. Die meisten wurden bei drei großen Amnestien für Bausünder gestellt, bei welchen die Besitzer ihre Gebäude gegen einen bescheidenen Geldbetrag pro illegalen Quadratmeter gesetzlich "sanieren" konnten.

Die erste Amnestie hatte Bettino Craxi im Jahr 1985 erlassen; Silvio Berlusconi doppelte im Jahr 1994 und 2003 mit zwei weiteren "condoni" nach. In einem 2015 veröffentlichten Bericht hat das Statistikamt Istat nachgewiesen, dass in einzelnen Teilen Süditaliens bis zu 60 Prozent der gesamten Bausubstanz ohne Bewilligung erstellt worden sind.

Katastrophale Bauweise

Die Anarchie im Bauwesen hat verheerende Folgen: Dass bei dem kleinen Erdstoß auf Ischia mit einer Stärke von 4,0 am 22. August zwei Menschen sterben mussten, liegt daran, dass viele der illegal erstellten Häuser katastrophal gebaut worden sind. Aber auch ein großer Teil der 299 Toten der Erdbeben von Mittelitalien mit einer Stärke von maximal 6,0 im vergangenen Jahr hätte wohl vermieden werden können.

Es ist offensichtlich, dass der lasche behördliche Umgang mit Bauvergehen für viele Bürger eine Einladung darstellt, das mühsame und teure Baubewilligungsverfahren zu umgehen und ihr Haus dort hinzustellen, wo es gerade passt. Die Politiker tun sich schwer, den Missstand zu bekämpfen. Denn Bauamnestien sind bei den Millionen Bausündern beliebt und sichern bei den nächsten Wahlen Stimmen. Zugleich sorgen die "condoni" für nötige Einnahmen: Die drei großen Amnestien haben über 40 Milliarden Euro eingebracht.

Nach dem Erdbeben von Amatrice hatte die Regierung von Matteo Renzi gelobt, die illegale Bauerei zu stoppen. Der ambitionierte Plan wurde "Casa Italia" getauft. Laut La Repubblica will Renzis Nachfolger Paolo Gentiloni Besitzer illegaler und unsicherer Häuser mit Subventionen von zwei Milliarden Euro dazu animieren, ihre Gebäude zu sanieren oder an einem sicheren Ort neu zu bauen.

Zwei-Milliarden-Euro-Bonus

Der Zwei-Milliarden-Bonus ist noch nicht beschlossen. Dennoch ist der Präsident der Umweltkommission der Abgeordnetenkammer, Ermete Realacci, alarmiert: "Die einzige Methode, die illegale Bauerei zu bekämpfen, besteht darin, dass man dafür sorgt, dass sie sich nicht mehr lohnt." Realacci wirbt für den Plan des Anti-Korruptions-Kommissars Raffaele Cantone. Dieser hatte nach Ischia gefordert, dass alle illegal und unsicher gebauten Häuser vom Staat konfisziert würden.

Diejenigen Gebäude, die in Bauverbotszonen oder auf öffentlichem Grund erstellt worden sind, müssten nach Cantones Vorschlag abgerissen werden. Die anderen könnten von den Besitzern zurückgekauft werden – vorausgesetzt, dass diese die Bewilligung nachholen und das Haus sanieren. (Dominik Straub aus Rom, 3.9.2017)