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Herausforderer Martin Schulz und Kanzlerin Angela Merkel stehen sich am Sonntag erstmals in diesem Wahlkampf persönlich gegenüber. Vier TV-Sender übertragen das 90-minütige TV-Duell um 20.15 Uhr live.

Foto: Reuters / Fabrizio Bensch

Meistens sind sie in diesen Tagen weit voneinander entfernt. Mal spricht die deutsche Kanzlerin Angela Merkel in Brandenburg auf einer Wahlkundgebung, SPD-Chef und Kanzlerkandidat Martin Schulz bereist Hessen, um dort für sich zu werben. Deutschland ist groß, die Wege sind weit, man trifft sich nie in einer Stadt.

Am Sonntag jedoch ist alles anders. Da stehen sich Merkel und Schulz zum ersten Mal in diesem Wahlkampf direkt gegenüber – auf einer ganz speziellen Wahlkampfbühne nämlich: in einem TV-Studio in Berlin-Adlershof. Dieses ist Schauplatz des einzigen Duells der beiden vor der Bundestagswahl am 24. September und somit der Höhepunkt des bisher an Höhepunkten recht armen Wahlkampfes.

Die 90-minütige Auseinandersetzung könnte ab 20.15 Uhr von rund 20 Millionen Menschen gesehen werden. Das würde dann schon an die Quoten der "Schwarzwaldklinik" aus den 1980er-Jahren heranreichen.

An Ränkespielen herrscht auch kein Mangel, das Duell beschäftigt die TV-Sender seit Monaten. Beteiligt sind die beiden öffentlich-rechtlichen – ARD und ZDF – sowie zwei private – RTL und Sat1. Eigentlich hätte man gern zwei Duelle gehabt. Das gab es schon einmal im Jahr 2002. Damals durfte Unions-Kanzlerkandidat Edmund Stoiber gleich zweimal gegen den amtierenden Kanzler Gerhard Schröder in den Ring steigen.

Merkel wollte 2005, als sie Schröder herausforderte, selbst nur noch ein Duell und ließ später als Kanzlerin auch nur eine Begegnung zu: 2009 eine gegen Frank-Walter Steinmeier (SPD), die so langweilig war, dass die "Bild"-Zeitung am nächsten Tag "Yes, we gähn" titelte. 2013 war es ein bisschen spannender, weil der damalige Herausforderer Peer Steinbrück (SPD) angriffiger war.

Alles bleibt beim Alten

Wenn schon bloß ein Duell, dann hätten die Sender gern für dieses eine Ereignis die Regeln geändert und etwas Neues ausprobiert. Man wollte lockerer werden, das Ganze wie in den USA vor Zusehern stattfinden lassen, diese eventuell mit Fragen beteiligen. Doch Merkel schaltete auf stur und verweigerte jegliche Neuerung.

Daher wird das Aufeinandertreffen im TV-Studio so ablaufen wie in den Wahlkämpfen zuvor: Die vier Moderatoren Sandra Maischberger (ARD), Maybrit Illner (ZDF), Peter Kloeppel (RTL) und Claus Strunz (Sat1) befragen Merkel und Schulz gemeinsam.

Vor allem das ZDF macht keinen Hehl daraus, wie unzufrieden es mit dieser Lösung ist. Chefredakteur Peter Frey erklärte freimütig, man habe Merkels Bedingungen akzeptieren müssen, sonst hätte sie das Duell platzen lassen. Es habe nur die Alternative "kein Duell oder ein Duell nach den alten Regeln" gegeben.

Erpressung durch das Kanzleramt

Noch deutlicher wurde der ehemalige ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender. Er sagte: "Die Einigung ist unter Erpressung des Kanzleramtes zustande gekommen. Solche Vereinbarungen nennt man sittenwidrig." Merkel selbst wurde natürlich auch gefragt, warum sie so innovationsunwillig sei und zudem nicht zweimal auftreten möge.

Ihre Antwort: "Ich finde, dass sich die Formate sehr bewährt haben." Bei den Wahlen danach habe schließlich immer sie gewonnen. Und sie wies noch darauf hin, dass in Deutschland ja Parteien und keine Personen gewählt werden. Also passe ein einziges Duell recht gut. Ende der Debatte.

Der Vorsitzende des Deutschen Journalistenverbandes, Frank Überall, war überhaupt für eine Absage des Duells und erklärt: "Die Sender hätten im Zweifel lieber auf das Duell verzichten sollen, als sich den Wünschen der Kanzlerin zu beugen." Dem widerspricht ZDF-Chefredakteur Frey jedoch: "Ich glaube, es wäre der größere Schaden gewesen, wenn dieses Duell nicht stattgefunden hätte."

Wenigstens eine Konfrontation

Auch Marcus Maurer vom Institut für Publizistik an der Universität Mainz, der sich mit der Wirkung von TV-Duellen befasst, findet es richtig, dass es wenigstens eine Konfrontation vor laufenden Kameras gibt. "Man darf nicht vergessen, dass sich viele Menschen noch gar nicht mit der Wahl beschäftigt haben. Für sie ist es eine gute Gelegenheit, überhaupt Informationen zu bekommen", sagt er dem STANDARD.

Grundsätzlich für das Format sieht er Herausforderer Schulz im Vorteil: "Er ist im TV-Studio endlich auf Augenhöhe mit Merkel und kann zeigen, dass er mit ihr argumentativ mithalten kann." Bisher hat Merkel ja kaum den Namen von Schulz ausgesprochen. Jetzt muss sie sich direkt mit ihm auseinandersetzen.

Doch dass Schulz eine große Chance hat, "das Ding zu drehen" (wie man es in der SPD formuliert), glaubt Maurer nicht. "Der Abstand der SPD zur Union ist mit bis zu 15 Punkten einfach zu groß. Da wird ein Duell nicht reichen." 2013 – nach dem Duell Merkel versus Steinbrück – stiegen zwar die Umfragewerte der SPD an. Aber nur kurzfristig, dann war der Effekt verpufft.

Und überhaupt sei Schulz in einer schwierigen Lage: "Er muss einen Angriff auf die beliebte Kanzlerin schaffen, gleichzeitig aber zeigen, dass er sich selbst auch für das Amt eignet." Also quasi gleich Opposition und Regierung in einem sein.

Schulz setzt auf Unentschlossene

Schulz jedoch sagt: "Ich bin nicht nervös, auf keinen Fall." Er verweist auf eine Umfrage des Allensbach-Instituts, der zufolge noch 46 Prozent der Wahlberechtigten in Deutschland unentschlossen sind. "Deshalb glaube ich, dass man sehr wohl die Wahl noch drehen kann."

Doch auch im Merkel-Lager nimmt man das Aufeinandertreffen nicht auf die leichte Schulter. Gefahren sieht man in der rhetorischen Stärke von Schulz. Als Schwäche verbucht man, dass Schulz innenpolitisch nicht so erfahren ist und sich in vielen Themen nicht so im Detail auskennt wie Merkel.

Und Kanzlerin Merkel will natürlich ihre große Erfahrung als am längsten dienende Regierungschefin Europas ausspielen und sich als bewährter Gegenpol zu US-Präsident Donald Trump, dem russischen Präsidenten Wladimir Putin und dem türkischen Präsidenten Tayyip Erdogan präsentieren.

Wirbel um Aussage von Gabriel

Schulz wird versuchen, sein großes Thema "Gerechtigkeit" unterzubringen. Hier wird der SPD größere Kompetenz zugeschrieben als der Union und Merkel. Kurz vor dem Duell hat er noch mit Gegenwind aus den eigenen Reihen zu kämpfen. Eigentlich lautet die Devise in der SPD-Spitze: Wir gewinnen, die SPD wird doch noch Platz eins erreichen.

Doch nun hat Außenminister Sigmar Gabriel (SPD), der Schulz ja im Jänner den SPD-Vorsitz und die Kanzlerkandidatur überlassen hat, in einem Gespräch mit dem "Spiegel" mit Blick auf die Koalitionsverhandlungen nach dem 24. September erklärt: "Eine große Koalition ist deshalb nicht sinnvoll, weil damit die SPD nicht den Kanzler stellen kann."

Dies war sofort so interpretiert worden, dass er nicht mehr daran glaubt, dass die SPD stärkste Partei wird. Zwar erklärte Gabriel danach: "Wer so etwas behauptet, redet Unsinn." Doch die Interpretation war da längst in der Welt – und weitergetragen.

Apropos Interpretation: Das Duell wird natürlich auf allen Social-Media-Kanälen begleitet. Noch vor Ort, im Studio, werden die schwarzen und roten Spindoktoren alles daran setzen, um die hunderten anwesenden Journalisten zu überzeugen, dass ihre Seite natürlich gewonnen hat.

Und man kann jetzt schon sicher sein: In der Union wird es heißen: "Die Wahl ist gelaufen, es ändert sich nichts mehr." Die Sozialdemokraten hingegen werden verbreiten: "Der Wahlkampf beginnt jetzt erst. Alles ist noch möglich." (Birgit Baumann aus Berlin, 2.9.2017)