Bei der Bewilligung der dritten Piste in Wien-Schwechat darf der Klimaschutz keine Rolle spielen, weil er nicht im anwendbaren Luftfahrtgesetz steht, urteilen die Verfassungsrichter. Bei Windparks ist der erwartete Nutzen für den Klimaschutz sehr wohl ein starkes Argument.

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Wien – Als Schüler in Oberösterreich musste ich mich zwischen Lask und Voest entscheiden, als Student in Wien zwischen Austria und Rapid. Die sehr emotional geführte Debatte zur dritten Piste des Flughafens Wien lässt befürchten, dass man sich als Umweltrechtler nun auch noch zwischen Verfassungsgerichtshof (pro) und Bundesverwaltungsgericht (contra dritte Piste) entscheiden muss. All dies verstellt ein wenig die Sicht auf eine Sachdebatte, die angesichts der beiden Erkenntnisse (BVwG 2. 2. 2017, W109 2000179-1/291E; VfGH 29. 6. 2017, E875/ 2017) dringend geboten ist.

Und damit meine ich nicht die Sachdebatte, ob man nun für oder gegen die dritte Piste ist, sondern die für viele Genehmigungsverfahren höchst relevante Frage, ob die durch den Verfassungsgerichtshof getroffenen Ausführungen auch für andere Großprojekte von Relevanz sind.

Während nämlich das Bundesverwaltungsgericht noch der Meinung war, es könne den Klimaschutz im Rahmen einer Interessenabwägung gegen die dritte Piste in Stellung bringen, hat der Verfassungsgerichtshof dies mit dem Argument verworfen, dass dafür eine direkt anwendbare Rechtsgrundlage fehle.

Das Kioto-Protokoll und das Übereinkommen von Paris als internationale Klimaschutzabkommen seien nicht direkt anwendbar, die nationalen Klimaschutzgesetze würden ebenfalls nicht für den Luftverkehr bzw. Flughäfen gelten.

Klimaschutz als öffentliches Interesse

Können nun die durch das Höchstgericht zum Flughafen Wien – und damit zum Luftfahrtgesetz – getroffenen Aussagen verallgemeinert werden? Schließlich bedarf nicht nur die Erweiterung eines Flughafens, sondern so gut wie jedes Projekt zum Ausbau erneuerbarer Energie – also Wasserkraftanlagen, Windparks, Solaranlagen – einer Genehmigung im Weg der Interessenabwägung.

Dabei werden die für und gegen ein Projekt sprechenden öffentlichen Interessen gegeneinander abgewogen und schließlich ein Werturteil gefällt, welches Interesse nun aus Sicht der Genehmigungsbehörde überwiegt.

Auch hier wird im Regelfall der Klimaschutz ins Spiel gebracht – nun aber als öffentliches Interesse, das für das jeweilige Energieprojekt streitet, da ja die Schaffung erneuerbarer Energie jedenfalls als positiver Beitrag zum Klimaschutz zu werten ist.

Der Verfassungsgerichtshof trifft nun zu dieser Frage – sosehr er auch alle Umweltschützer enttäuscht haben mag, welche die Versagung der dritten Piste bereits bejubelt hatten – eine völlig klare Ansage: Es gilt das Gesetz! Sowohl die gegen als auch die für ein Großprojekt sprechenden öffentlichen Interessen sind dem jeweils anzuwendenden Materiengesetz zu entnehmen.

Klassisches Anlagenrecht

Wenn nun das Luftfahrtgesetz gegen eine Flughafenerweiterung nur die Schutzgüter gelten lässt, die dem klassischen Anlagenrecht zu eigen sind (Schutz des Lebens, der Gesundheit, des Eigentums), dann kann das Bundesverwaltungsgericht nicht im bloßen Interpretationsweg auch noch den Klimaschutz ins Spiel bringen.

Für Projekte zum Ausbau erneuerbarer Energie – die im Regelfall Interessenabwägungen nach Wasser-, Forst- oder Naturschutzrecht zu unterziehen sind – sind das gute Nachrichten. Schließlich sind diese Gesetze bedeutend offener und stellen generell auf den Nutzen ab, den die Umsetzung des gegenständlichen Projekts bringen wird. Der Berücksichtigung positiver Auswirkungen auf den Klimaschutz, die mit dem Ausbau erneuerbarer Energie verbunden sind, steht demnach nichts entgegen.

Die rechtliche Auseinandersetzung um den Flughafen Wien zeigt aber auch, dass das Bundesverwaltungsgericht zu etwas berufen war, was es schlicht nicht leisten konnte: die gerichtliche Überprüfung eines Werturteils.

Der Kern einer Interessenabwägung ist nämlich – neben der Erhebung aller dafür notwendigen fachlichen Grundlagen – ein Werturteil, welchem Interesse nun der Vorrang eingeräumt werden soll. Dieses Werturteil ist nicht objektivierbar, weil die konkurrierenden Interessen keinem einheitlichen Bewertungsmaßstab unterliegen. Was ist mehr wert: ein Arbeitsplatz oder die Vermeidung von einem Kilogramm CO2?

Einzelwertung eines Richters

Der Verwaltungsgerichtshof hält dazu seit Jahren fest, dass ein getroffenes Werturteil nicht Gegenstand seiner gerichtlichen Kontrolle sein kann. Damit muss aber die Frage erlaubt sein – und zwar ohne dass gleich ein Angriff auf den Rechtsstaat unterstellt wird –, warum der Gesetzgeber den Verwaltungsgerichten das einräumt, was der Verwaltungsgerichtshof für sich nicht in Anspruch nimmt: die gerichtliche Kontrolle eines Werturteils oder, etwas griffiger formuliert, das Ersetzen des Werturteils der (immerhin demokratisch legitimierten und politisch verantwortlichen) Behörde durch das Werturteil des jeweiligen Richters.

Und Obacht: Da die Gesetze mangels Vergleichbarkeit der konkurrierenden öffentlichen Interessen allesamt keinen Wertungsmaßstab festlegen können, entscheidet hier die persönliche Einzelwertung eines Richters.

Eine rechtspolitische Debatte, ob bzw. unter welchen Voraussetzungen hier gesetzliche Anpassungen geboten sind, sollte jetzt und nicht erst unter dem Eindruck der nächsten "Aufregerentscheidung" geführt werden. (Martin Niederhuber, 5.9.2017)