Sven Regeners neuer Roman "Wiener Straße" blickt zurück auf die frühen 1980er-Jahre in Westberlin. Er erscheint diesen Freitag.

Foto: Christian Fischer

Wien – Mal schauen, was wird. Das ist eine etwas aus der Mode geratene Alltagsphilosophie. Heute muss ja jeder ein Ziel haben, flott und skrupellos sein, damit er die Räder nicht von unten zu sehen kriegt. Der deutsche Autor und Musiker Sven Regener lädt in seinem am Freitag erscheinenden Roman Wiener Straße (Verlag Galiani, 296 Seiten) in ein bekanntes Soziotop ein. Das Berlin der frühen 1980er-Jahre. Sogar Frank Lehmann kommt vor, der Held seines Debütromans Herr Lehmann.

In Wiener Straße spielt der eine von mehreren gleichberechtigten Hauptrollen, einen richtigen Helden gibt es nicht. Das ist ein bisschen wie bei den neuen US-Fernsehserien, in denen lauter gleichwertige Charaktere nebeneinander auftauchen und man sich, je nach Neigung, eine Heldin oder einen Helden aussuchen kann.

Doch Helden sind in Wiener Straße rar. Es ist die hohe Zeit des Herumwurstelns, des mal Schauens, was wird, und des mal Schauen, was geht. Ohne besonderen Lokalpatriotismus oder penetrante Nostalgie beschreibt Regener eine Gruppe junger Menschen, die im Drei-Mal-Umfallen-Radius des Café Einfall ihrer Bestimmung nachgehen. Lehmann kommt in Erstkontakt mit der für sein späteres Leben bestimmenden Gastronomie, sein Chef Erwin ist ein weichherziger Lokalbesitzer und Wohnungsvermieter und damit die höchste Form der hier abgebildeten Bürgerlichkeit. Dann gibt es H. R., einen Künstler, P. Immel von der Galerie ArschArt, den Wiener Fernsehjournalisten Prohaska, Erwins Nichte Chrissie, deren Mutter Kerstin und ein paar höhere Statisten.

Familiäres Milieu

Alle gehen mit großer Überzeugung kleinen Dingen nach. Zweifel, immer nur am Tun anderer, werden in wortreichen bis geschwätzigen Streits ausgetragen, ohne dass jemand ernsthaft beleidigt werden würde. Regener skizziert ein familiäres Milieu, irgendwie geht's um Kunst und deren Behauptung, am Ende steht eine Vernissage. Bis dahin wird viel geredet und ein bisschen gemacht: ein Großmarkt zwecks Weinanschaffung besucht oder ein vertrottelter KOB, ein Kontaktbereichsbeamter, hingehalten. Eine klassische Story ergibt das nicht.

Bekannt wurde Sven Regener als Frontman der Band "Element of Crime" und als Schriftsteller – ein Beitrag aus der ZiB um 24 Uhr
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Regener, ein 1961 geborener Bremer, der später nach Berlin ging und bis heute mit der Band Element Of Crime erfolgreich ist, ergeht sich in einem kurzweiligen Situationismus. Den übertreibt er mitunter. Wenn etwa Kaffeemaschinenreparateure in Kompaniestärke hinterm Tresen des Einfall stehen, um eine alte Espressomaschine zu lobpreisen, kippt das in den Slapstick, ohne eine Pointe zu liefern.

Manche Figuren berlinern deftig, doch Berlinerisch allein ist weder Witz noch Handlung. Mit der lässt sich Regener Zeit. Im letzten Drittel, es geht langsam darum, diese Vernissage auf die Reihe zu kriegen, entwickelt er einen Flow. Da wird es lustig, wenn Erwin nach der Geburtsvorbereitung mit seiner Freundin einen Tag lang mit einem künstlichen Mitfühlbauch versucht, Schwangerschaft nachzuempfinden, und in Situationen gerät, in denen sich so ein Wanst als nicht gerade lebenserleichternd erweist.

Und dann ist da die Sache mit der Kettensäge – eine eher platte Idee -, mit der H. R. dem öffentlichen Besitz zum Zwecke der Kunst einen Baum enteignet. Doch das ist ein kleines Bäuerchen als bescheidener Ausklang eines Romans, der zwar dort angesiedelt ist, wo Regeners frühere Erfolgsromane spielen, diesen aber nicht nahekommt. (Karl Fluch, 5.9.2017)