Bild nicht mehr verfügbar.

Proteste gegen die Aufhebung des Programms.

Foto: AP/Kaster

Francisco Rodriguez im Einkaufszentrum Lloyd.

Foto: Müller

Liliana Luna in ihrem Büro.

Foto: Müller

Francisco Rodriguez (links) und seine Familie am Eingang ihres Hauses.

Foto: Müller

US-Präsident Donald Trump beendete am Dienstag das Daca-Programm (Deferred Action for Childhood Arrivals), das jungen Migranten ein vorläufiges Bleiberecht sichert. Etwa 800.000 junge Menschen, in den USA werden sie "Dreamer" genannt, sind davon betroffen, die meisten aus Lateinamerika. Demokraten wie gemäßigte Republikaner kündigten bereits vorab Widerstand gegen die Entscheidung an. Dutzende US-Konzernchefs forderten Trump auf, an der Daca-Aufenthaltsregelung festzuhalten. Andreas Müller war im Rahmen der Transatlantic Storytelling Summerschool 2017 in Portland und hat sich dort die Geschichten zweier Betroffener erzählen lassen.

****

Es war ein früher Sonntagmorgen. Franciscos Rodriguez' Schwester Elisabeth hörte ein Klopfen an der Tür ihres Elternhauses. Als sie öffnete, standen da Männer in Uniform, die nach ihrem Bruder fragten. Elisabeth eilte nach oben, um Francisco Bescheid zu geben. Der sah aus dem Fenster: Das Haus war mittlerweile umstellt. Sein Elternhaus am äußeren Stadtrand Portlands war in diesem März eine von mehreren Stationen des US Immigration and Customs Enforcement (ICE). Innerhalb von drei Tagen hatte die Behörde 84 Einwanderer ohne Papiere in Alaska, Oregon und Washington festgenommen.

Es war nur einige Wochen später, als sich Liliana Luna nicht anders zu helfen wusste, als in einer fremden Wohnung unterzutauchen. Sie fürchtete, abgeschoben zu werden, ließ ihre Arbeit, ihr Studium und ihr Zuhause hinter sich, um sich vor ICE zu verstecken. Angst und Depression begleiteten sie damals, erklärt sie. Irgendwann resignierte Luna, sie bereitete sich darauf vor, das Land zu verlassen.

Als Kinder in die USA

Francisco Rodriguez und Liliana Luna hatten nicht selbst entschieden, in die USA zu kommen. Luna war 15 und lief von zu Hause weg, als sie von den Plänen ihrer Eltern erfuhr. Die Familie lebte nahe an der Grenze zu Texas und wurde von Drogenkartellen bedroht. Rodriguez wiederum kann sich kaum an Morelia, Mexiko erinnern, wo er aufwuchs, bis er fünf war. Mithilfe von Schleppern kam seine Familie bis nach Portland, in der Hoffnung auf Arbeit und eine bessere Zukunft.

"War echt ein tolles Spiel", meint Rodriguez, heute 25, mit einem Lächeln im Gesicht und dem Logo der Portland Timbers auf seiner Brust. Er war gerade mit Freunden im Stadion. Heute ist sein freier Tag. Normalerweise gibt er Essen bei einer Tafel für einkommensschwache Familien in der Nachbarschaft aus, hilft beim Unterricht in einer Grundschule mit und organisiert Sommercamps für Hortkinder. Seine Kollegen beschreiben ihn als "sehr fleißig", "beliebt", "unbeschwert" und als "großes Vorbild für die Gemeinde". Er nimmt noch einen Bissen der Chicken-Teriyaki-Nudeln, die er im Lloyd-Einkaufscenter gekauft hat. Vor fünf Monaten war er sich unsicher, ob er je wieder ein Timbers-Match sehen oder bei Sarku Japan Teriyaki essen kann.

Obamas Programm

1.446 Nicht-US-Bürger waren Anfang August noch im Northwest Detention Center of Tacoma, Washington inhaftiert. Am Tag seiner Verhaftung im März wurde auch Francisco Rodriguez dorthin gebracht. Er wurde abgeholt, obwohl er in einem Programm war, das ihn vor der Ausweisung schützen sollte. Das "Deferred Action for Childhood Arrivals"-Programm (Daca) richtet sich an Einwanderer ohne Papiere, die im Alter von unter 16 Jahren in die USA gekommen sind. Von Barack Obama 2012 eingeführt, bietet Daca die Möglichkeit, legal im Land zu studieren und zu arbeiten, sowie einen Schutz vor Abschiebung. Der Daca-Schutz gilt für zwei Jahre und kann anschließend erneuert werden.

Bei Liliana Luna hatte die Bearbeitung der Verlängerung länger gedauert als erwartet. Als sie im Frühjahr ihren Schutz verlor, drohte man ihr, sie anzuzeigen, weshalb sie vorübergehend untertauchte. Nachdem sie ihren Daca-Status wiedererhalten hatte, nahm sie ihre übliche Routine wieder auf. Luna arbeitet als "Coordinator of Multicultural Center" am Portland Community Center, absolviert einen Master in Familien- und Paarberatung an der Portland State University und verdient sich als Uber-Fahrerin am Wochenende Geld dazu. Der Schrank ihres Büros ist geschmückt mit mexikanischen Totenköpfen, an der Wand gegenüber hängt ein Aztekenkalender. "Ich brauche die Verbindung zu meinen Wurzeln, das gibt mir Energie", erklärt sie. In einer Box auf dem Boden finden sich T-Shirts, auf denen steht: "Undocumented – unafraid – unapologetic" (ohne Papiere – ohne Angst – ohne schlechtes Gewissen). Die T-Shirts sind für ihre Studenten am Community Center. Luna ermutigt sie, nicht unsichtbar zu bleiben und sich für Daca zu bewerben.

Eine Menge Angst

In den gesamten USA gibt es geschätzt 800.000 Personen mit Daca-Schutz. Dennoch gab es Fälle, in denen genau solche Einwanderer bereits das Land verlassen mussten. Sam Reese, Anwalt einer unabhängigen Beratungsstelle für Einwanderer in Portland, spricht von "einer Menge Angst in der Gemeinde" aufgrund von Medienberichten über solche Ausweisungen. Seit der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten ist es völlig unklar, wie es mit dem Daca-Programm weitergeht. Schon mehrmals hieß es, Trump wolle das Programm komplett einstellen. Nun ...

Im Dezember 2016 machte Francisco Rodriguez einen Fehler. Nach zwei Bier innerhalb von 40 Minuten setzte er sich ans Steuer. Wenig später wurde er von der Polizei angehalten. Obwohl Rodriguez sich für schuldig erklärte und ein Bewährungsprogramm absolvierte, könnte das der Grund für seine Verhaftung im März gewesen sein. Er konnte jedoch auf die Community bauen. Als er die Beamten von seinem Fenster aus sah, rief er seinen Priester an, der sich wiederum an verschiedene Einrichtungen wandte. Die Geschichte um Rodriguez' Verhaftung brachte es schnell in die Medien, NGOs verlangten seine Freilassung. Portland ist bekannt dafür, liberal, offen und einwandererfreundlich zu sein. An diesem Sonntag im März wurde er verhaftet, am späten Montagnachmittag verließ er das Abschiebezentrum von Tacoma bereits wieder.

Rodriguez' Daca-Schutz lief Ende August aus. Er widmet sich jetzt seiner NGO Pueblo Unido, die er mit einem früheren Arbeitskollegen gegründet hat. Als Geschäftsinhaber muss er sich nicht ausweisen können, meinte sein Anwalt, was ihn auf die Idee der Gründung brachte. Pueblo Unido berät Einwandererfamilien, die von der "Razzia der Regierung" betroffen sind, wie es auf ihrem Flyer steht. Im Jänner 2018 geht es um Rodriguez' eigene Zukunft. Dann findet die Anhörung statt, die darüber entscheidet, ob er in seiner gefühlten Heimat bleiben darf oder nicht. (Andreas Müller aus Portland, 5.9.2017)