STANDARD: Angela Merkel und Martin Schulz haben ihr einziges TV-Duell absolviert. Ist die Bundestagswahl nun wieder offen?

Faas: Nein, das glaube ich nicht. Und ich kann auch verstehen, dass jetzt viele Menschen beklagen, sie hätten nichts Neues erfahren. Aber man muss bedenken, dass für sehr viele Menschen dieses Duell überhaupt erst der Einstieg in den Wahlkampf war. Für sie war es eine gute Gelegenheit, überhaupt einmal die beiden Charaktere zu vergleichen und Informationen zu bekommen.

STANDARD: Was hat Sie persönlich überrascht und was nicht?

Faas: Grundsätzlich haben wir gesehen, was wir erwartet haben: Schulz greift ein wenig an, Merkel pariert. Überrascht hat mich, wie stark die Flüchtlings- und Außenpolitik im Fokus stand. Andererseits: Das brennt auch vielen Menschen unter den Nägeln, das merkten wir gestern Abend schon bei unseren Messungen.

STANDARD: Wie verliefen die?

Faas: Wir statteten 250 Zuseher mit einem Regler aus. Sie sollten ihn betätigen, wenn ihnen etwas besonders gefällt oder missfällt. Zu sehen war, dass ihnen positiv auffiel, als Merkel erklärte, sie wolle sich nicht an den Terror gewöhnen. Eigentlich ein Allgemeinplatz, aber er kam gut an.

STANDARD: Und bei Schulz?

Faas: Es wurde honoriert, als er klar sagte, er als Kanzler würde die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei abbrechen. Da konnte er Merkel auch ein bisschen in die Enge treiben. Aber sie konterte sofort, dass da ja eigentlich eh nichts passiere, man sie also auch nicht abbrechen müsse. Und sie mahnte, man müsse auch das große Ganze, also die inhaftierten Deutschen, im Blick haben. Es war schon echt brutal für Schulz, dass er keine Angriffsfläche fand.

STANDARD: Wie hat er sich Ihrer Meinung nach geschlagen?

Faas: Das ist widersprüchlich. Einerseits besser als erwartet. Andererseits waren die Erwartungen an ihn nicht hoch gewesen. Eine Chance hat er beim Thema "Gerechtigkeit" vertan. Sein ganzer Wahlkampf ist darauf ausgerichtet. Da hätte er viel öfter darauf zu sprechen kommen müssen – nicht nur, als er gefragt wurde. Es wird bis zur Wahl keine große Aufholjagd von Schulz geben.

STANDARD: Wie kam Merkel rüber?

Faas: Sie war souverän und präsidiabel. Die Frau bringt offenbar nichts aus der Ruhe – wenngleich sie schon ein paarmal kurz gezuckt hat. Aber sie hat natürlich immer einen Hinweis, den sie einsetzt, wenn sie das Gefühl hat, es geht nichts mehr. Dann erklärt sie, dass man das ja in der großen Koalition besprochen habe. Dieses strenge Korsett der Moderation kam ihr natürlich zugute, da war wenig Spontanität möglich.

STANDARD: Waren Sie mit den Modalitäten dieses TV-Duells einverstanden?

Faas: Nein. Es tut der Sache nicht gut, wenn da doppelt so viele Moderatoren wie Kandidaten stehen. In den USA gab es bei zwei vielbeachteten Duellen jeweils nur einen Moderator, der konnte dann natürlich auch viel besser nachfragen. Aber das klappt in der Viererkonstellation kaum. (Birgit Baumann, 4.9.2017)