St. John's / San Juan – Mit Windgeschwindigkeiten von bis zu 295 Stundenkilometern hat der Hurrikan Irma Kurs auf die Kleinen Antillen im Südosten der Karibik genommen. Es ist einer der stärksten Tropenstürme, die je in der Region registriert wurden, die Menschen bereiteten sich auf das Schlimmste vor.

Auf der kleinen Karibikinsel Barbuda traf der Sturm am Mittwoch erstmals auf Land. Kurz vor 1 Uhr meldeten Wetterstationen des US-Hurrikanzentrums Spitzenwindgeschwindigkeiten von bis zu 255 km/h. Das Auge des Tropensturms zog über die Insel, wie den Wetterdaten zu entnehmen war.

In einer ersten Reaktion twitterte der Premier von Antigua und Barbuda, Gaston Browne, die Inseln seien vom Schlimmsten verschont geblieben.


Im französischen Überseegebiet Guadeloupe werden Hamsterkäufe getätigt.
Foto: APA/AFP/HELENE VALENZUELA

Die Behörden hatten die etwa 1.700 Bewohner gewarnt, trotz einer kurzen vermeintlichen Beruhigung der Lage im Zentrum des Sturm nicht nach draußen zu gehen. Der Wind riss die Dächer von einigen Häusern auf Barbuda, wie der "Antigua Chronicle" auf Facebook berichtete. Weitere Informationen über Schäden und mögliche Opfer lagen zunächst nicht vor. Auch von Barbudas Nachbarinsel Antigua gab es zunächst keine Berichte, der Sturm zog etwa 65 Kilometer nördlich an der Insel vorbei.

Video der US-Wetterbehörde NOAA von einem Flug ins Auge des Hurrikans Irma.

Der Hurrikan der höchsten Stufe fünf ("extrem gefährlich") könnte katastrophale Schäden anrichten, hatte das US-Hurrikanzentrum gewarnt. Es sei mit über drei Meter hohen Wellen, starkem Regen und Erdrutschen zu rechnen.

Dieses Amateurvideo zeigt Auswirkungen von Hurrikan Irma auf Sint Maarten.
PTZtv

Trotzdem verweigerten vorerst rund 7.000 Menschen auf französischen Karibikinseln, sich vor dem Hurrikan in Sicherheit zu bringen. Die französische Regierung schlug deswegen Alarm. Die Ministerin für die Überseegebiete, Annick Girardin, äußerte sich am Mittwoch "höchst besorgt": "Wenn wir überhaupt noch eine Botschaft weitergeben können, dann die, sich so gut wie möglich zu schützen und auf die Ratschläge und Anweisungen zu hören."

9-Uhr-"ZiB" vom Mittwoch über den Hurrikan Irma.
ORF

Notquartiere für 63.000 Menschen

Puerto Ricos Gouverneur Ricardo Rosselló Nevares rief den Notstand aus und aktivierte die Nationalgarde. "Ein so gefährliches Wetterphänomen hat Puerto Rico noch nie gesehen", sagte der Regierungschef. Die Küstenregionen wurden evakuiert, die Behörden richteten 456 Notunterkünfte mit Kapazitäten für mehr als 63.000 Menschen ein.

Es gab Hurrikanwarnungen für Antigua, Barbuda, Anguilla, Montserrat, St. Kitts und Nevis, die niederländischen Inseln Saba, Sint Eustatius, Sint Maarten, die französischen Überseegebiete Saint-Martin und Saint-Barthélemy, die Britischen Jungferninseln und die US-Jungferninseln sowie Teile Puerto Ricos und der Dominikanischen Republik.

Unvorbereitet in Haiti

Wenn man sich am Mittwoch im Armenviertel von Haitis zweitgrößter Stadt Cap-Haitien umhörte, wusste dort nur wenige Stunden vor Eintreffen des Hurrikans an der Küste der Hafenstadt noch niemand über den Hurrikan Bescheid. "Wir haben keinen Strom und sind deshalb von allen Informationen abgeschnitten", sagt die 25-jährige Jacquie Pierre.

"Sollte Irma Haiti wirklich treffen, steht uns eine große Katastrophe bevor", sagte Sonja Schilling von Hilfswerk Austria International. Sie befindet sich derzeit im Nordwesten Haitis. Irma könnte am Donnerstag die Insel heimsuchen. Erst im Oktober 2016 war Haiti von einem schweren Sturm getroffen worden, Matthew verwüstete große Gebiete, 2,1 Millionen Menschen waren betroffen.

Einer der stärksten Stürme der Region

Irma ist einer der stärksten jemals registrierten Tropenstürme in der Region. Vergleichbare Windgeschwindigkeiten wurden bisher nur bei Hurrikan Wilma 2005 und Hurrikan Allen 1980 gemessen, berichtete der US-Fernsehsender CNN.

Die niederländische Regierung schickte rund 100 Soldaten auf die bedrohten Inseln Sint Maarten, Sint Eustatius und Saba. Zudem seien zwei Marineschiffe mit weiteren Soldaten und Hilfsgütern in der Region bereitgestellt worden, teilte das Verteidigungsministerium mit.

Viele Menschen in den betroffenen Gebieten sicherten mit Holzplatten ihre Fenster und Geschäftsauslagen. Im Bild ein Supermarkt in Miami.
APA/AFP/Michele Eve Sandberg

Auf seinem Zug könnte der Sturm auch die Dominikanische Republik, Kuba, Haiti und die Bahamas bedrohen. Urlauber müssten mit starkem Regen und Wind rechnen, in deren Folge es zu Überschwemmungen und Erdrutschen kommen kann, teilte das deutsche Auswärtige Amt in seinen Reise- und Sicherheitshinweisen hin.

Der Flug von Papst Franziskus nach Kolumbien musste wegen des Durchzugs des Hurrikans umgeleitet werden. Der Airbus A380 nahm auf dem Flug von Rom nach Bogotá eine südlichere Route als geplant, teilte der Vatikan am Mittwoch mit.

Menschen sollen Florida Keys verlassen

Touristen wurden aufgefordert, die Südwestspitze Floridas einschließlich der Inselkette Florida Keys zu verlassen. Nach Angaben der Behörden sollte die Abreise für Besucher Mittwochfrüh verpflichtend werden. Später sollten auch Einwohner zum Verlassen des Gebiets aufgefordert werden.

"Wenn es jemals in den Keys einen ernstzunehmenden Sturm gegeben haben sollte, dann diesen", sagte Martin Senterfitt vom Katastrophenschutz des Bezirks Monroe County am Dienstag. "Je eher die Leute gehen, desto besser."

Auch die Menschen im Norden Miamis in Florida decken sich mit Vorräten ein.
Foto: APA/AFP/Michele Eve Sandberg

Floridas Gouverneur Rick Scott rief den Notstand in allen 67 Bezirken aus. "Florida muss vorbereitet sein", sagt Scott am Dienstag. Der letzte Hurrikan, der den Bundesstaat traf, war Matthew im vergangenen Oktober.

Bild nicht mehr verfügbar.

Die Wasserregale in diesem Supermarkt in Surfside, Florida sind bereits leer.
Foto: AP/Wilfredo Lee

Gute Prognose

Dass man den Kurs so genau berechnen kann, liegt laut dem Meteorologen Manfred Spatzierer daran, dass er sich noch über dem offenen Meer befindet. "Erst der Kontakt mit Landmassen bringt den Energiehaushalt des Hurrikans durcheinander", sagt der Mitgründer des Wetterdienstleisters Ubimet zum STANDARD. Ein Hurrikan ernähre sich von feuchter, warmer Luft über dem Wasser. Diese Energiequelle gehe über Land teilweise oder sogar ganz verloren.

Laut Spatzierer sind sich die verschiedenen Wettermodelle der Meteorologen in den kommenden fünf Tagen über die erwartete Stärke und Zugbahn des Hurrikans weltweit relativ einig.

Hier können Sie Irma live beobachten. Updates gibt es jede Minute.
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Saffir-Simpson-Skala

Die Hurrikan-Kategorien entsprechen der Saffir-Simpson-Skala, die 1972 vom US-Hurrikanzentrum offiziell eingeführt wurde. Die siebenteilige Skala verwendet Windgeschwindigkeiten, um die Stürme einzuordnen. Dabei sind die unteren beiden Kategorien "Tropisches Tief" und "Tropischer Sturm", darauf folgen die fünf Hurrikanstufen.

Bei solch großen Wettersystemen ist laut Spatzierer in den vergangenen Jahren die Sicherheit der Prognosen signifikant gestiegen. "Ende der 1990er und Anfang der 2000er war das noch anders." So wurde im Dezember 1999 der Orkan Lothar, der über West- und Mitteleuropa hinwegzog, falsch eingeschätzt. Das Sturmsystem hatte sich über Nacht völlig anders als erwartet entwickelt – nämlich deutlich intensiver und schneller. Damals starben bis zu 110 Menschen.

Nun habe man in solchen Fällen eine Prognosesicherheit von drei bis fünf Tagen, so Spatzierer. Anders sei das auf einer kleineren Skala, etwa bei unwetterträchtigen Gewittersystemen: "Da können binnen zwei bis sechs Stunden viele Unsicherheiten auftreten." (bbl, APA, 6.9.2017)