Wir sind auf einer Gruppenreise für Leute, die keine Gruppen mögen", sagt Darmon Richter, ein Engländer, der schon seit einigen Jahren in Bulgarien lebt, beim ersten gemeinsamen Dinner in Sofia. Die meisten der Teilnehmer, die er in der kommenden Woche durch das Land kutschieren wird, um die aberwitzigsten kommunistischen Denkmäler zu besichtigen, haben noch nie eine Gruppenreise gemacht. Sie kommen aus den USA, England, Deutschland oder Österreich, ihr Interesse für Sowjetarchitektur vereint sie.

Darmon gilt als Experte auf diesem Gebiet, er betreibt online die Seite "The Bohemian Blog" – und hat vorsichtshalber gleich im Titel hinzu gefügt: "Not Your Average Travel Site", keine ganz gewöhnliche Reiseplattform. In der Tat sprechen Destinationen und Themen, die Darmon mit Akribie und Leidenschaft erforscht, eher Nerds an. Er schreibt über Partisanendenkmäler in Ex-Jugoslawien, Besuche in der Sperrzone von Tschernobyl, einen Kriegstunnel in Sarajevo und tschechische Kirchen, deren Gewölbe mit menschlichen Knochen verziert sind. "Dark Tourism" nennt man diesen Trend, geschichtsträchtige, oft mit dem Tod verbundene, auf jeden Fall schräge Orte zu besuchen (siehe Interview).

In den letzten Jahren erschienen zahlreiche Fotobände, die genau solche Destinationen ablichteten, zudem wird Brutalismus in der Architektur gerade wieder entdeckt, viele Menschen sind neugierig auf alternative Reiseziele. Darmon ist kein klassischer Guide, der Vorträge vor jedem Monument hält. Der schmächtige junge Mann ist fast zu schüchtern für seinen Job, aber die Tour ist eine faszinierende Zeitreise. Sie zeigt auch, wo Bulgarien gerade steht, anhand dessen, wie das Land mit seinen Denkmälern umgeht. Eine Rundreise zu sieben architektonischen Highlights.

Die bunte Armee von Sofia

Das Monument der Sowjetarmee steht zentral in einem öffentlichen Park, Skater und Jugendliche hängen davor ab, trinken Bier, hören Musik. Nachts ist es stockdunkel, beleuchtet ist das Denkmal nicht, was eindeutige Rückschlüsse auf die ambivalente Haltung des Landes zu seiner Geschichte zulässt. Bulgarien möchte nach vorne, in eine kapitalistische Zukunft blicken, am liebsten so tun, als ob es nie kommunistisch gewesen wäre.

Foto: wikicommons/Ignat Ignev

Dank anonymer Kunstaktionen bleibt das Denkmal im Gespräch: 2011 wurden die Rotarmisten auf einem Seitenrelief übermalt und in popkulturelle Superhelden verwandelt, Wolverine, Superman, Captain America und Ronald McDonald waren mitten in der Schlacht. 2013 wurden die Figuren rosa bepinselt – zum Jahrestag des Prager Frühlings. Und 2014 – man wollte die Revolution in Kiew unterstützen – wurde die Flagge auf dem Denkmal in den ukrainischen Farben angestrichen.

Lenin in der Vorstadt

Das Museum für sozialistische Kunst am Stadtrand von Sofia wurde erst 2011 eröffnet. Sonderlich viel Mühe gibt sich Bulgarien aber nicht, dafür die Werbetrommel zu rühren.

Foto: wikicommons/Mark Ahsmann

Es deckt die Jahre 1944 bis 1989 ab, der Skulpturenpark ist beeindruckend: Lenin- und Stalin-Statuen, die vor der Zerstörung gerettet wurden, stehen herum, ebenso wie der riesige rote Stern, der einst im Zentrum vom Parteigebäude strahlte.

Triumphbogen in Trojan

Die Gegend um Trojan ist ein beliebtes Skigebiet. Schraubt man sich die Passstraße hinauf, wartet auf 1.520 Metern eine Überraschung in Form eines gigantischen Triumphbogens. Er ist dem Sieg der russischen Armee im Jänner 1878 gewidmet, der die 500-jährige türkische Herrschaft über Bulgarien beendete.

Foto: wikicommons/Pamporoff

37 Meter hoch ist die Skulptur, die vom Architekten Georgi Stoilov und dem Bildhauer Velicho Minekov entworfen wurde. Sie zeigt, wie frei in der Form und in historischen Vorbildern gearbeitet werden durfte, solange die kommunistischen Symbole Hammer und Sichel zu sehen waren. Sogar ein römischer Triumphbogen war als Sowjetdenkmal möglich.

Transformers in Schumen

Anders als viele Denkmäler, die nicht vom Staat erhalten werden, ist die Anlage in Schumen in tadellosem Zustand. Man ist überwältigt von der schieren Größe des Areals, das 1981 eröffnet wurde, um an die Gründung des bulgarischen Staates zu erinnern. Die abstrakten Betonfiguren wirken wie aus dem Film Transformers – eingefroren in der Bewegung.

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Foto: Getty Images/sjhaytov

Schumen ist nicht vordergründig mit dem Kommunismus verbunden, wahrscheinlich ist es deshalb gut in Schuss und wird gerne für Hochzeitsfoto-Shootings genutzt. Die Figuren spannen einen Bogen vom ersten Khan über die Christianisierung bis zu wichtigen Schriftstellern des Landes.

Outdoor-Fitness in Varna

Varna ist Bulgariens Sommermetropole, die Stadt am Schwarzen Meer strahlt mediterrane Entspanntheit aus. Das Denkmal der bulgarisch-sowjetischen Freundschaft, 1978 eröffnet – damals hieß die Stadt noch Stalin – liegt auf einem Hügel. Bis 1989 wurde es genutzt, im Inneren befand sich sogar eine kleine Buchhandlung.

Foto: wikicommons

Mittlerweile verfällt das imposante Denkmal, für das mehr als 10.000 Tonnen Beton verwendet wurden. Die Einheimischen nutzen die 305 Stufen, ganz im Sinne des Filmhelden Rocky Balboa, als Open-Air-Fitness-Center. Darmon kennt die Einstiegsluke, über die man ins verlassene Innere gelangt. Treppen schrauben sich hinauf bis zu einer Plattform im Freien, direkt neben den Köpfen der Steinsoldaten. Von oben hat man einen famosen Blick auf das Meer. "Manche Jugendliche klettern auf die Köpfe der Soldaten, das gibt von unten coole Fotos", erzählt Darmon, der in Varna lebt und oft herkommt.

Denkmal in Stara Sagora

Das 50 Meter hohe Denkmal für die "Beschützer von Stara Sagora 1877" wurde 1977 erbaut. Es erinnert an eine blutige Schlacht, bei der unzählige bulgarische Freiwillige gemeinsam mit russischen Truppen aus Samara gegen die Osmanen kämpften.

Foto: wikicommons/Nenko Lazarov

Die Schlacht endete mit einem Massaker, die Stadt wurde niedergebrannt, ein Großteil der Zivilbevölkerung niedergemetzelt. Die komplexe Anlage mit abstrakter Flagge, konkreten Figuren und interessantem Bodenmuster ist riesig. Ein Wächter passt auf, dass es zu keinem Vandalismus kommt. Die russische Gemeinschaft der Stadt kümmert sich um den Erhalt des Denkmals.

Das UFO von Busludscha

Busludscha ist eine Ikone unter den kommunistischen Monumenten, das Gebäude gleicht einem Ufo, das auf einem Berg gelandet ist. Erbaut wurde es zu Ehren der sozialistischen Bewegung Bulgariens. Nach dem Zerfall der kommunistischen Regimes 1989 fühlte sich keiner mehr für den Erhalt zuständig. Die Decke ist an vielen Stellen bereits eingebrochen, im Winter fällt Schnee in den Innenraum, der dann wie von einer anderen Welt wirkt.

Der Besuch von Busludscha ist ein Abenteuer, das Betreten des Areals strengstens verboten. Der Staat hat sogar eine Sicherheitsfirma beauftragt, die Kameras installierte und die kleine Luke, über die Manche illegal einsteigen, regelmäßig zunagelt. Wer Glück hat, trifft vor Ort Menschen, die gerade aus dem Inneren kommen. Sie erzählen von einem arenaförmigen Innenraum, der atemberaubend schön sein soll.

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Foto: Getty Images/valio84sl

Wind und Wetter setzen dem Gebäude heftig zu, die prächtigen Mosaike bröckeln langsam herunter, viele Besucher meinen, sich durch Graffitis verewigen zu müssen. Mittlerweile gibt es auch in Bulgarien Initiativen, das eigenwillige Raumschiff zumindest im jetzigen Zustand zu konservieren, damit dieses Architekturdenkmal nicht völlig zusammenbricht.

Busludscha ist ein typischer Abenteuerspielplatz für Dark Tourism, auf dem mitunter die Grenzen der Legalität überschrittten werden. Manche klettern in völliger Dunkelheit durch einen engen Schacht den 107 Meter hohen Turm hinauf, vorbei an zerbrochenen Glasfenstern mit roten Sternen. Für alle, die unten geblieben sind: Der Blick über das Balkangebirge vom 1.141 hohen Berg Chadschi Dimitar, auf dem das "kommunistische Ufo" einst landete, ist auch so eindrucksvoll. (Karin Cerny, 10.9.2017)

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