Peter Hohenhaus (54) ist Linguist und Gründer von www.dark-tourism.com und beschäftigt sich seit 2008 mit Dark Tourism.

Foto: Peter Hohenhaus

STANDARD: Wie kommt man darauf, dem Phänomen Dark Tourism eine Website zu widmen?

Hohenhaus:: 2008 habe ich die Site als kleines Nebenprojekt angedacht, mittlerweile ist sie auf tausende Seiten angewachsen. Man muss sehr viel recherchieren, um etwas über Orte herauszufinden, die zum Dark Tourism zählen.

STANDARD: Was zählt denn genau zur Kategorie Dark Tourism?

Hohenhaus: Es ist eine Art Überbegriff für das Reisen an Orte, die mit dunklen Kapiteln der Geschichte verbunden sind oder mit dem Tod zu tun haben. Da gehören Holocaust-Gedenkstätten ebenso dazu, wie Ground Zero oder Tschernobyl. Der Begriff wurde in den 1990er-Jahren in England geprägt.

STANDARD: Zählen Sie denn Slum-Tourismus auch dazu?

Hohenhaus: Ich habe den Begriff selbst übernommen, erst im Laufe der Jahre gemerkt, dass er häufig missverstanden wird. Als der Film Slumdog Millionär im Jahr 2008 anlief, wurde Slum-Tourismus plötzlich weltweit populär. Mir ist das zu nah am Voyeurismus, ich würde mich dabei nicht wohlfühlen. Bei Dark Tourism geht es um Vergangenes und um Memorialisierung. Die Ränder des Begriffs sind diffus, es wird viel diskutiert, was dazu gehört und was nicht.

STANDARD: Viele Orte, über die Sie schreiben, sind gefährdet. Muss man sich beeilen, sie zu sehen?

Hohenhaus: Einige sind gesichert, werden als Gedenkstätten erhalten. Andere verfallen, und es ist nicht ungefährlich, sie zu besuchen. Das Busludscha-Monument in Bulgarien ist ein gutes Beispiel dafür, da stürzt die Decke langsam ein. Man darf auch gar nicht rein. Ich ermutige nicht dazu, lebensgefährliche Orte zu besuchen.

STANDARD: Warum ist diese Form des Tourismus so beliebt?

Hohenhaus: Diese Orte haben noch den Reiz des Exotischen, man bewegt sich abseits der ausgetretenen Touristenpfade. Die meisten Dark-Tourism-Schauplätze stehen nicht in Reiseführern, Nischenfirmen bieten Touren an. Mittlerweile findet man aber immer mehr Texte und Fotos im Internet, einige Menschen bekennen sich offen dazu. Die Fotografin Rebecca Lilith Bathory, unter anderem bekannt durch das Buch Soviet Ghosts, arbeitet gerade an einem Bildband zu Dark Tourism.

STANDARD: Welche Orte haben Sie besonders fasziniert?

Hohenhaus: Die Sperrzone um Tschernobyl, da war ich bereits zweimal. Einmal 2006, als noch Wenige hinreisten, und im vergangenen Jahr hielt ich mich mit einem privaten Guide zwei Tage lang in der Zone auf. Unterm Strich ist das für mich die Nummer eins, weil dieser Ort so viele Aspekte abdeckt: Er ermöglicht eine Zeitreise in zwei Richtungen: in die sowjetische Vergangenheit und in die Zukunft, wie die Welt nach der Menschheit aussehen könnte. Ein Thema, das der Filmemacher Nikolaus Geyrhalter im Film Homo Sapiens behandelt.

STANDARD: Unangenehm berührt waren Sie nirgends?

Hohenhaus: In Ruanda bin ich an meine Grenzen gestoßen. Da gibt es offizielle Gedenkstätten für den Völkermord. Jene in der Hauptstadt ähnelt europäischen Ausstellungen, baer jene in Murambi im Süden des Landes ist schockierend. Dort wurden Leichen, die in Gruben geworfen und mit Kalk überschüttet worden waren, wieder ausgegraben und zu Hunderten in ehemaligen Schulgebäuden ausgestellt. Man erkennt zum Teil noch ihre Gesichtsausdrücke, ein unangenehmer Geruch liegt in der Luft. Die Schockwirkung ist aber beabsichtigt. Sie soll der eigenen Bevölkerung zeigen, dass der Völkermord wirklich so passiert und nicht zu leugnen ist. Für westliche Besucher ist diese Herangehensweise irritierend. Man sträubt sich instinktiv dagegen, fühlt sich aber zum Gedenken an die Opfer verpflichtet, die Führung bis zu Ende durchzuhalten. Das hat mich emotional sehr mitgenommen.

STANDARD: Sie leben derzeit in Wien. Wie dunkel ist die Stadt?

Hohenhaus: Wien steht ziemlich weit oben auf der Dark-Tourism-Skala. Das liegt auch daran, dass die Stadt ein sehr spezielles Verhältnis zum Tod hat. Das erste Bestattungsmuseum der Welt ist hier entstanden, die pathologischen Sammlungen der Universität sind weltweit herausragend, die Grüfte und Katakomben beeindruckend. (Karin Cerny, 10.9.2017)