St. John's/Miami/Paris – Mit Windgeschwindigkeiten von rund 300 Stundenkilometern ist der Hurrikan Irma in der Karibik erstmals auf Land getroffen. Am Mittwoch gegen 2 Uhr erreichte er die zu den Kleinen Antillen gehörende Insel Barbuda und zog dann zu den Inseln Saint-Barthélemy und Saint-Martin/Sint Maarten weiter. Dort richtete er nach Angaben der französischen Regierung schwere Schäden an.

Rund eineinhalb Stunden verweilte das Auge des als "potenziell katastrophal" eingestuften Sturms auf dem französischen Überseegebiet Saint-Barthélemy, das besonders beim internationalen Jetset beliebt ist, dann erreichte es die zwischen Frankreich und den Niederlanden geteilte Insel Saint-Martin/Sint Maarten. Der französische Wetterdienst berichtete von heftigen Springfluten, ganze Küstengebiete seien bereits überschwemmt.

"ZiB"-Video von 9 Uhr zum Hurrikan-Alarm.
ORF

"Größere Schäden"

Die Ministerin für die französischen Überseegebiete, Annick Girardin, beschrieb "größere Schäden" auf den betroffenen Inseln. Unter anderem habe der Sturm die Dächer von zahlreichen Häusern fortgerissen. Trotz der höchsten Alarmstufe weigerten sich laut Girardin rund 7.000 Menschen bis zuletzt, sich in Sicherheit zu begeben.

Auf Saint Martin sind die Zerstörungen groß.
Foto: APA / AFP / Twitter / Rinsy Xieng

Präsident Emmanuel Macron sagte am Abend, er rechne damit, dass es auch Todesopfer gebe. "Momentan ist es zu früh, um eine vollständige Bilanz vorliegen zu haben, aber ich kann schon jetzt sagen, dass der Schlag hart und grausam ist". Auch die materiellen Schäden auf den beiden betroffenen Inseln seien beträchtlich. Dass es mindestens zwei Todesopfer gegeben habe, wurde später in Paris bestätigt.

Die Uno rechnet damit, dass bis zu 37 Millionen Menschen von den Auswirkungen des Wirbelsturmes betroffen sein könnten. Das sagte UN-Sprecher Stephane Dujarric am Mittwoch vor Journalisten in New York. Ein Hilfsteam der Vereinten Nationen sei bereits auf die Karibikinsel Barbados gereist, weitere Teams stünden bereit.

Ein Amateurvideo zeigt Auswirkungen von Irma auf Sint Maarten.
PTZtv

Die Behörden rechneten damit, dass der Wirbelsturm weiter an Kraft zunimmt. Zuvor wurden bereits Spitzenwindgeschwindigkeiten von 360 Stundenkilometern gemessen. Zuverlässige Messungen an Ort und Stelle waren nach kurzer Zeit aber nicht mehr möglich, da die Instrumente des französischen Wetterdiensts im Sturm verlorengingen.

Ein Satellitenbild der National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA) zeigt den Hurrikan am Mittwoch um Mittag.
Foto: AFP PHOTO / NOAA/RAMMB

Höchste Stufe

Noch bevor der Sturm mit einer Ausdehnung von der Größe Frankreichs auf Land traf, hatte ihn das US-Hurrikanzentrum auf die höchste Stufe 5 hochgestuft. Damit ist Irma noch stärker als Harvey, der Ende August die US-Bundesstaaten Texas und Louisiana heimsuchte.

Ein Bild kurz vor Eintreffen des Sturms in Saint-Martin.
Foto: AFP/Lionel Chamoiseau

Das NHC warnte, der Sturm könne katastrophale Schäden anrichten. Schon jetzt sei er als "historisch" einzustufen: Seit Beginn der Aufzeichnungen habe noch kein Sturm auf dem offenen Atlantik eine solche Stärke erreicht.

Kurs auf Puerto Rico

Inzwischen hat Irma Kurs auf die Jungferninseln und Puerto Rico genommen. Die weitere Route ist noch unklar, laut verschiedenen Vorhersagen bedroht der Hurrikan aber auch Haiti und Florida. Als Nächstes drohte er auf den Inselstaat St. Kitts und Nevis zuzusteuern. Regierungschef Timothy Harris rief die Einwohner dazu auf, in ihren Häusern zu bleiben.

Grafik: APA/NOAA

Örtliche Wetterdienste sagten vorher, dass die ersten Winde und Regenfälle Südflorida am Freitagabend erreichen könnten. US-Präsident Donald Trump rief für Florida und die US-Außengebiete Puerto Rico und Virgin Islands den Notstand aus, dadurch werden Bundesmittel freigegeben. Puerto Ricos Gouverneur Ricardo Rossello setzte die Nationalgarde ein und ließ Notunterkünfte für bis zu 62.000 Menschen öffnen.

Bild nicht mehr verfügbar.

Die Menschen in Miami kauften Spanholzplatten, um ihre Fenster zuzunageln.
Foto: AP Photo/Marta Lavandier

Urlauber sollen Key West verlassen

Floridas Gouverneur Rick Scott bezeichnete Irma als "ernste Bedrohung für den ganzen Bundesstaat". Zahlreiche Touristen wurden aufgefordert, die Urlauberinsel Key West zu verlassen. Der Sturm könne der schlimmste werden, dem Florida je ausgesetzt gewesen sei, sagte Scott am Mittwoch dem TV-Sender ABC. "Ich möchte, dass jeder versteht, um was es hier geht", sagte Scott. Alle Einwohner sollten sich für drei Tage mit Wasser und Nahrungsmitteln eindecken. "Nehmt was ihr braucht, aber nehmt nicht mehr", sagte Scott mit Hinweis auf mögliche Versorgungsengpässe.

In Miami Beach bereiteten sich die Einwohner mit Hamsterkäufen auf den Sturm vor. In einem Supermarkt standen ganze Regalreihen leer. "Die Leute sind verrückt und kaufen alles auf", sagte die 81-jährige Gladys Bosque. Es gebe weder Wasser noch Milch oder Katzenfutter.

Zahlreiche Leute in Florida tätigten Hamsterkäufe und deckten sich mit Vorräten ein.
Foto: APA/AFP/Michele Eve Sandberg

"Große Katastrophe" in Haiti befürchtet

In Haiti dagegen wusste die Bevölkerung zunächst nichts von der drohenden Katastrophe. Vor allem die Bewohner der besonders gefährdeten Armenviertel waren gänzlich unwissend. "Sollte Irma Haiti wirklich treffen, steht uns eine große Katastrophe bevor", sagte Sonja Schilling von Hilfswerk Austria International. Sie befindet sich derzeit im Nordwesten des Inselstaats.

"Wir versuchen gemeinsam mit den Behörden die Menschen vorzubereiten, sie in sichere Unterkünfte zu bringen", berichtete Schilling. "Allerdings sind fast alle Gebäude im Norden direkt an der Küste, das ist besonders gefährlich. Es leben hier so viele Menschen, es gibt kaum sichere Orte."

Wenige UN-Hilfsmittel

Die Behörden müssen zudem ohne die Hilfe der UN-Stabilisierungsmission Minustah auskommen, die in Erwartung ihres baldigen Mandatsendes bereits einen Großteil ihrer schweren Ausrüstung abgezogen hat. So stehen für die rund eine Million Menschen, die rund um die Hafenstadt Cap-Haïtien leben, ganze drei Krankenwagen zur Verfügung. Stabile Notunterkünfte gibt es so gut wie keine. Haiti kämpft immer noch mit den Auswirkungen von Hurrikan Matthew, durch den im Oktober vergangenen Jahres im Süden des Landes mehr als 500 Menschen ums Leben gekommen waren.

Nächster Sturm José, dann Katia

Nach dem Zerstörungszug von "Irma" muss sich die Karibik auf einen weiteren Hurrikan einstellen. Der Tropensturm "José" ist am Mittwochnachmittag zu einem Hurrikan der Kategorie 1 mit Spitzengeschwindigkeiten von 120 Kilometern pro Stunde angewachsen, wie das US-Hurrikanzentrum NHC mitteilte. "José" befand sich 1.675 Kilometer östlich der Kleinen Antillen in der östlichen Karibik. Bis Freitag könnte er zu einem Hurrikan der Kategorie 3 werden, hieß es aus Washington.

Die Nationale Wetterbehörde der USA veröffentlichte den aktuellen voraussichtlichen Verlauf des Hurrikans in der Nacht auf Donnerstag.

Die Experten des NHC stuften indes auch "Katia" zum Hurrikan der ersten Kategorie hinauf. Wie "Jose" erreichte auch "Katia" am Mittwoch Geschwindigkeiten von 120 Stundenkilometern. "Katia" befand sich 295 Kilometer östlich von Mexiko-City und dürfte in den kommenden 48 Stunden weiter an Stärke gewinnen. Allerdings sollte er sich in den kommenden Tagen nicht auf das Festland zubewegen. (APA, 6.9.2017)