Kiel/Wien – Pottwale sind die größten Räuber unseres Planeten. Mit 20 Meter Körperlänge und gut 50 Tonnen Gewicht jagen diese Riesen vorzugsweise in tiefen Gewässern. Allerdings kommt es immer wieder zu tödlichen Pottwal-Strandungen. Wieso manchmal ganze Schulen der Tiere in flache, ufernahe Gewässer geraten, ist bisher nicht abschließend geklärt.

Zu einer ungewöhnlichen Serie von Strandungen kam es zwischen Jänner und März 2016 in der südlichen Nordsee: An den Küsten Englands, Frankreichs, der Niederlande und Deutschlands verendeten insgesamt gleich 29 männliche Pottwale. Zwar wurde bei Obduktionen in den Mägen einiger Tiere Plastikmüll gefunden, Biologen schlossen das jedoch als Ursache für den Tod der ansonsten durchwegs jungen und gesunden Wale aus.

Bild nicht mehr verfügbar.

Dieser Pottwal strandete im Jänner 2016 auf der niederländischen Insel Texel.
Foto: Picturedesk/REMKO DE WAAL

Magnetische Störungen

Dass die Nordsee Pottwalen keine geeigneten Lebensräume bietet, macht die Sache nicht weniger rätselhaft. Sorgten Sonargeräte oder Schiffslärm dafür, dass die Tiere sich verirrten? Forscher um Klaus Vanselow (Uni Kiel) legen nun im "International Journal of Astrobiology" eine andere Erklärung vor: Demnach könnte die Sonne für den Massentod verantwortlich sein, genauer gesagt: starke Sonnenstürme, die das Magnetfeld der Erde beeinflussen.

Die Theorie, dass durch Sonneneruptionen ausgelöste magnetische Störungen das Orientierungssystem von Walen beeinflussen, ist nicht neu: Frühere Studien sprechen dafür, dass die Tiere das Erdmagnetfeld und natürliche geomagnetische Anomalien zur Orientierung nutzen. Veränderungen könnten die Navigation folglich beeinträchtigen. Für ihre Studie untersuchten die Forscher konkret, ob die Auswirkungen zweier Sonnenstürme Ende 2015 und Anfang 2016 mit den Strandungen an der Nordseeküste in Verbindung stehen könnten.

Bild nicht mehr verfügbar.

Pottwalkadaver im englischen Hunstanton, 5. Februar 2016.
Foto: Reuters/ALAN WALTER

Sackgasse Nordsee

Vanselow: "Wir haben insbesondere die stunden- bis tagelangen sonnensturmbedingten Verbiegungen des Magnetfelds in dem Meeresgebiet zwischen Norwegen und Schottland, wo die Wale irrtümlich in die Nordsee abgebogen waren, analysiert." Das Ergebnis: Die Ereignisse könnten das Magnetfeld kurzzeitig so verändert haben, dass magnetische Fehlinterpretationen von über 400 Kilometern in Nord-Süd-Richtung denkbar sind. Zudem könnten diese Veränderungen natürliche geomagnetische Anomalien in der Region vorübergehend aufgehoben und die Wale dadurch verwirrt haben.

Auf Texel verendeten Anfang 2016 gleich sechs Tiere.
Foto: APA/AFP/ANP/REMKO DE WAAL

Schon Magnetfeldstörungen von wenigen Stunden könnten fatal sein, so die Autoren: Einmal in die Nordsee gelangt, hätten Pottwale aufgrund der dortigen Umweltverhältnisse kaum noch Chancen, ihren Kurs zu korrigieren. "Dann stranden sie in der Sackgasse Nordsee", so Vanselow. (David Rennert, 6.9.2017)