Wissenschafterin Marlis Prinzing.

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Die Wirkung von Facebook und Co auf die politische Meinungsbildung ist beträchtlich, äußert sich aber anders als vermutet. Vor allem macht die Art, wie dort diskutiert wird, tiefe Brüche in unserer Gesellschaft sichtbar. Die Herausforderung, die sich uns stellt, geht also weit über Initiativen zur Korrektur von Gerüchten und Lügen hinaus. Sie richtet sich an jeden – und es gibt Beispiele, wie sich Brücken bauen ließen.

Das Team um die Mainzer Publizistikprofessorin Birgit Stark wollte herausfinden, wie politische Meinung durch Informationsvermittler (Intermediäre) geprägt wird, und verglich dazu klassische Nachrichtenquellen mit Social Media wie Facebook und Co; die Forscher haben zwar nur deutsche Nutzer online befragt, deren Internetnutzung aufgezeichnet und mit einigen diskutiert, doch die Befunde dürften sich im D-A-CH-Raum, also in Österreich und der Schweiz, nicht grundlegend unterscheiden. Die unter dem Titel "Ganz meine Meinung? Informationsintermediäre und Meinungsbildung" veröffentlichte Studie zeigt: Die Art und Weise, wie auf Facebook und Co diskutiert wird, verzerrt unseren Eindruck vom Meinungsklima in unserer Gesellschaft, dies macht uns anfällig für Falschinformationen, Lügen und Provokationen – und führt leicht zu einer Verkettung von Reaktionen.

Verzerrte Mehrheitsmeinung

Erstens hat das Folgen für unsere Bereitschaft mitzudiskutieren und polarisiert: Wer sich mit seiner Meinung der Mehrheit zugehörig fühlt, meldet sich eher zu Wort. Und weil in sozialen Medien schnell und in großer Schärfe Emotionen hochkochen und besonders bei Reizthemen in Windeseile Lager entstehen, schweigen viele lieber, sobald der Ton rau wird. Am echten Stammtisch weicht man schwieriger anderen Meinungen aus als am digitalen. Diese auf Social Media gängige Art zu diskutieren bewirkt bei etlichen Nutzern zudem, dass sie das tatsächliche Meinungsklima in der Gesellschaft entsprechend verzerrt einschätzen.

Wer zweitens systematisch mit Lügen manipulieren oder Leute gegeneinander aufhetzen will, kann diese Effekte nutzen und mittels sozialer Medien sein Ziel der Desinformation immer weitgreifender erreichen. Und drittens: Klassische Medien verstärken diese Effekte oft noch, indem sie selber die in sozialen Medien laufenden Diskussionen überbetonen und damit hitzige Debatten weiter anheizen.

Manipulationen

Vor Wahlen ist all dies besonders brisant, und vielerlei, was derzeit unternommen wird, belegt den guten Willen dagegenzusteuern. In Deutschland zum Beispiel hat Facebook jetzt offenbar zehntausende gefälschte Konten gesperrt, um im Vorfeld der Bundestagswahl Manipulationen einzudämmen, und Algorithmen entwickelt, die Alarm schlagen, wenn ähnliche Inhalte häufig verschickt oder Nachrichten in hoher Zahl gepostet werden. Medienhäuser und Bürgerschaft haben international diverse teils gemeinsame, teils eigene Initiativen entwickelt (First Draft Coalition, Faktenfinder et cetera), um Fälschungen durch Gegenrecherche zu enttarnen.

Der Verein Mimikama in Österreich markierte dieser Tage das Plakat, auf dem der deutsche Kanzlerkandidat Martin Schulz sagt: "Der Tod von einigen Deutschen ist ein kleiner Preis für die Sicherheit tausender Syrer", als Fälschung. Und viele Leute lassen sich nicht aufs Glatteis führen, wenn im Countdown zur österreichischen Nationalratswahl Fanseiten wie Pilze aus dem Boden sprießen, sich als Orte der "Wahrheit" bezeichnen und sich in Spott erschöpfen, etwa indem sie Kanzler-Herausforderer Sebastian Kurz zum "Fake-Basti" machen, sondern sie wenden sich genervt ab.

Suggestion, Anspielung, Unterstellung

Den Grundkonflikt, auf den die Studienbefunde hinweisen, löst das nicht: die Brüche in unserer Gesellschaft. Die Diskussionskultur in sozialen Medien macht diese Brüche unübersehbar und befördert auch, dass jene, die mit Lügen sowie noch weit raffinierter (und zudem nicht automatisiert verifizierbar oder eindämmbar) durch Suggestion, Anspielungen und Unterstellungen manipulieren und provozieren, zurzeit breite Einfallstore haben.

Angetrieben durch Gefühle der Ungleichheit und Gerechtigkeit, der Intoleranz und Angst, so führt die amerikanische Sozialforscherin und Medienwissenschafterin Danah Boyd aus, driften Sozialbeziehungen und Werte auseinander. Boyd untersucht soziale und kulturelle Dimensionen der digitalen Mediengesellschaft und verlangt, das Problem an der Wurzel zu packen. Das heißt erstens: Begriffe und Zusammenhänge verorten. An ihrem Institut Data Society in New York wurde dazu ein Lexicon of Lies entwickelt, in dem definiert und differenziert wird (zum Beispiel "misinformation" versus "disinformation") sowie Propagandakonzepte und Motive für Manipulationen benannt werden. Und zweitens: wieder miteinander reden, gerade wenn man nicht derselben Ansicht ist. Klingt einfach und scheint schwierig.

Mehrere Quellen

Doch hier liefert gerade die Mainzer Studie Zuversicht. Denn offenbar stützen sich die meisten Facebook-Nutzer auch auf klassische Nachrichtenmedien. Sie nehmen also nicht, wie oft angenommen wird, nur das wahr, was auf Facebook und Co passiert, und bleiben in sogenannten Echokammern, sondern sie bilden sich ihre Meinung aus mehreren Quellen auch über ihr eigenes Umfeld hinaus. Und noch eine gute Nachricht: Wer sich politisch interessiert und recht selbstbewusst ist, der ist weniger anfällig für manipulative Folgen.

Daran lässt sich konkret ansetzen. Das heißt ja: Wir alle können handeln. Zum einen, indem wir uns dazu anhalten, auch andere Standpunkte zu verstehen, zu respektieren, auszuhalten sowie manche davon zu überbrücken, indem wir uns dem Gespräch stellen mit jenen, deren Vorstellungen sich von unseren unterscheiden. Zum anderen, indem wir einen Journalismus einfordern, der für breite Aufklärung sorgt, auch im Digitalen, und ein Forum bietet für Debatten darüber, wie wir in unserer Gesellschaft künftig zusammenleben wollen. Medien waren schon immer auch Plattformen für den gesellschaftlichen Diskurs.

Journalisten als Moderatoren und Gastgeber

Die Community-Funktion, also die Leistung, die Medien für das Miteinander mit und innerhalb ihres Publikums erbringen, ist in der digitalen Gesellschaft bedeutsamer denn je. Sie hilft, das Gesprächsniveau in den Kommentarspalten zu verbessern und die Medienmarke zu festigen und kann dazu beitragen, Brüche in der Gesellschaft zu heilen. Anders als früher sind Journalisten in diesen Diskursforen heute nicht vor allem die großen Welterklärer, sondern Moderatoren für ihre Community oder Gastgeber, die Menschen und Ansichten zusammenbringen, zum Hinhören bewegen und hingehen zu den Leuten. Vieles davon ist nicht grundsätzlich neu, bedarf aber der Wiederentdeckung.

Wie das aussehen kann, das zeigt die deutsche Plattform "Zeit Online" in ihrem neuen "Sonderressort" #D17 : Die Redaktion baute "Deutschland spricht", eine "Dating-Plattform für den politischen Streit". Nach einem Aufruf der "Zeit Online"-Redaktion trafen sich an einem Sonntag im Juni 1.200 Personen mit gegensätzlichen Überzeugung zu aktuellen Themen wie der Aufnahme von Flüchtlingen, der Ehe von Homosexuellen oder dem Ausstieg aus der Atomenergie paarweise zum politischen Streit.

Und für die aktuelle Serie "Heimatreporter" reisen "Zeit Online"-Reporter dorthin, wo sie jeweils aufgewachsen sind, und reden mit Freunden aus alter Zeit, mit Nachbarn oder Kollegen, was dort gerade die Leute bewegt und umtreibt, und schaffen dadurch eine Nähe, die ein dort fremder Journalist kaum hinbekäme. Herausgekommen ist dabei etwa die Geschichte eines offenbar typisch deutschen Vorgangs, erzählt am Beispiel von Riesa an der Elbe. 15 Jahre mussten die Bewohner auf eine Flutmauer warten, obwohl viele Häuser verschont worden wären, wenn die Wand früher gestanden wäre. Auch der STANDARD reagiert auf Themen wie Zersiedelung oder Stadt- und Landflucht, die in Foren heftig debattiert werden, mit einer beispielhaften Serie: STANDARD-Journalisten fahren in der Serie "Heimfahrt" nach Hause und berichten darüber, wie sich ihre Heimatgemeinde verändert hat. (Marlis Prinzing, 7.9.2017)