Bobby "Blue" Bland

Der Name ist natürlich anmaßend. Unknown Pleasures – das wird selten einzulösen sein. Schließlich liegt im Netz fast alles irgendwie offen, entdeckt gehört es halt. Das ist der Ansatz dieses neuen Musikblogs, er soll entdecken helfen. Themen können vergessene Bands oder Musiker sein, artverwandte Literatur, wenig bekannte Alben, Singles, wenn es sein muss. Manchmal wird es Anlässe geben, meistens nicht. Abgestaubt ist der Name des Blogs bei Joy Division, erstes Album. Das wird hier nicht behandelt werden, das kennt hoffentlich jede und jeder, wenn nicht, bitte reinhören, es entgeht einem sonst was.

Ehrgeiz ist es, alle zwei Wochen einen Blogeintrag zu veröffentlichen. Die Idee gibt es schon länger, die Frage lautete: Wann beginnen und womit? Beantwortet hat die Frage nun das deutsche Label Bear Family. Mit dessen Mastermind Richard Weize hab ich mal ein Gespräch geführt, das man da findet, und hier findet man das Label im Netz.

Bear Family ist ein aus einem deutschen Kuhdorf aus operierender Wiederveröffentlichungsverlag, der sich weltweit einen Namen gemacht hat – mit seiner Gründlichkeit, ob seiner Qualität. Bear Family hat nun das Album "Dreamer" von Bobby Bland als LP wieder veröffentlicht. Ein besserer Einstieg für Unknown Pleasures ist kaum vorstellbar, "Dreamer" ist ein Monster.

STANDARD-Leserinnen und -Leser sind über den Namen vielleicht schon gestolpert: Bobby "Blue" Bland war ein Soul- und Bluessänger. Geboren 1930, gestorben 2013, galt er als einer der größten seines Fachs. Ein zärtlicher Vulkan. Einer, der in den 1950ern in Memphis begonnen hat und zu den Beale Streeters zählte. So wurde rückblickend eine lose Verbindung von Musikern genannt, die sich in den frühen 1950ern in den Clubs der Beale Street in Downtown Memphis herumgetrieben hat. Junior Parker zählte zu ihnen (über den Mann demnächst mehr), der junge B. B. King, Johnny Ace und eben auch Bobby Bland. Es gibt ein Foto, das Elvis Presley im Kreise der Beale Streeter zeigt. Das hier:

Von rechts: Bobby Bland, Elvis, Junior Parker, Rest ist unbekannt.

Bobby Bland arbeitete als Chauffeur von B. B. King, bevor er selbst zu singen begonnen hat. Für das Duke Label veröffentlichte er von den mittleren 1950ern bis 1972 Alben und Singles. Selten gelang ihm der Sprung in die weißen Popcharts, in den R&B-Charts hingegen war Bland Dauergast, ein aufsteigender Stern. Dort punktete er mit roher Zärtlichkeit, mit heftigen Bluesern wie "I Smell Trouble", eleganten Titeln wie "St. James Infirmary" oder Balladen, die den Damen an das Herz gingen. Bland galt zeitlebens als "ladies' man".

Ende der 1960er war schließlich keine gute Zeit für Bland. Er konnte sich seine vielköpfige Tourband nicht mehr leisten, soll depressiv und öfter betrunken denn nüchtern gewesen sein. Neuer Erfolg sollte sich erst einstellen, als Steve Barri ihn unter die Fittiche nahm.

Barri war ein erfolgreicher Songwriter, Produzent und A&R-Mann für ABC Records, das damals Duke aufkaufte. Barri wusste um Blands Potenzial und beschloss, ihn aus seinem üblichen Umfeld zu holen. Er flog ihn nach Los Angeles, wo Bland 1973 sein "California Album" aufnahm.

Das Album besticht mit einer Mischung aus urbanem Soul und eleganten Bluesballaden und brachte Bland erstmals wieder in die Charts. Barri trommelte für Bland eine Reihe vorzüglicher Studiomusiker zusammen, die eine so leichtfüßige wie intensive Begleitband ergaben. Hervorzuheben wäre der Schlagzeuger Ed Greene, der damals für Gott und die Welt seine Trommeln rührte und Alben von Marvin Gaye, den Mamas and the Papas oder Steely Dan noch besser machte – und hunderte andere mehr. Man höre sich nur "The Right Place At The Right Time" von Blands "California Album" an, wie er das anschiebt. Bitteschön:

Drummer Ed Greene hilft Bobby Bland auf die Sprünge.
DrFunkythumb

Nach dem Erfolg des "California Albums" legte Barri nach, 1974 erschien "Dreamer". Schon das Cover ist ein Traum. Bland blickt im besten Tuch der Seventies-Coolness auf den Betrachter. Mit dem Muster seines Hemdes tapezierten andere Menschen damals ihre Wohnzimmer, und auf seinem Hemdkragen konnten kleine Kinder einen schönen Nachmittag verbringen. Blands Tschik qualmt, die Lider deuten ein anstrengendes Nachtleben an, hängen auf Höhe einer "cool cat".

Die Platte löst diese Coolness ein. Bereits die ersten beiden Songs sind reines Gold. "Ain’t No Love In The Heart Of The City" schleicht mit der für Bland typisch trägen Eleganz ins Album.

"Ain’t No Love In The Heart Of The City", der Opener von "Dreamer".
LesCoulissesDeMood

Der Song ist verantwortlich dafür, dass das Originalalbum in gutem Zustand heute meist nur um teures Geld erhältlich ist. Jay-Z und Kanye West haben ihn gesampelt und dem Album einen Preisanstieg beschert, den man nun mit der Neuauflage gepflegt unterlaufen kann.

"I Wouldn’t Treat A Dog (The Way You Treated Me)", die zweite Nummer, ist klassischer Bland-Stoff. Ein Sufferer-Song, aber upbeat. Greenes Rhythmus ist unfassbar lässig, den Rest besorgen die knappen Licks, die gut abgehangenen Hörner und natürlich der Bertl vorn am Mikro. Superlative würden diesen Song nur beschämen, ein Traum.

Pures Gold. "I Wouldn’t Treat A Dog (The Way You Treated Me)"
mrcandman

Doch damit hatte er sein Pulver noch nicht verschossen, mit "The End Of The Road" gelingt ihm gleich noch eine geniale Nummer. Wie sich da die Orgel einschleicht, unfassbar.

Träge Eleganz, superbe Dramatik: "The End Of The Road".
Gerisoul

Es folgt das später auch zusammen mit B. B. King gespielte "I Ain’t Gonna Be The First To Cry", "Yolanda" ist ein weiteres Highlight, "Cold Day In Hell" super, das beleidigte "Who’s Foolin' Who" ein würdiger Abschluss.

Nach diesem Album hat Barri dann leider ausgelassen. Ein Livealbum mit B. B. King versemmelten die beiden Hauptdarsteller komplett, das folgende Studioalbum "Get On Down With Bobby Bland" verabschiedete sich vom urbanen Setting, ging in Richtung Country-Soul. Erst bei "Reflections In Blue" (1977) war Barri wieder an Bord, doch da wütete längst Disco, und das war nicht Blands Metier, wie einige halbherzige Versuche belegen. Sein letztes Album für ABC hieß "Come Fly With Me" (1978) – dann ist er rausgeflogen.

"Dreamer" aber, das ist und bleibt ein Monolith, der siamesische Zwilling des "California Albums". Bear Family hat "Dreamer" remastered. Besser hat es wahrscheinlich nie geklungen. (Karl Fluch, 12.9.2017)