Ein Feuerwerk für den Nationalheiligen Szent István: Budapest liegt auch an der Donau. Das demokratische Gebaren der dortigen Regierung wird von den Donauraumstrategen oft ignoriert.

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Jüngst war es wieder so weit. Der ehemalige Spitzenpolitiker Erhard Busek hat hier im STANDARD sein Steckenpferd reiten und vorführen dürfen: den Donauraum. Behübscht mit allerlei nostalgischen Bezugspunkten und voll des bedeutungsschweren Geraunes erzählte er seine Lieblingsgeschichte, die vom gemeinsamen Raum.

Räume sind sozial konstruiert. Man findet sie nicht als solche auf einer geografischen Landkarte. Genauso verhält es sich auch mit dem ominösen Donauraum. Nur weil es einen – zugegeben – langen Fluss mit vielen Anrainerstaaten gibt, hat man nicht automatisch auch gleich eine gemeinsame soziale und historische Vergangenheit. Schon gar nicht im Fall der Donau. Sie spiegelt vielmehr die multiplen Brüche Europas, die großen Widersprüche. An ihr werden die Gegensätze des Kontinents sichtbar. Baden-Württemberg, wo die Donau entspringt, ist die Heimat der sprichwörtlich sparsamen schwäbischen Hausfrau. Hier herrscht Wohlstand, es wird Hochtechnologie produziert, und Mercedes schraubt seine Fahrzeuge zusammen. Weit im Osten, im Mündungsgebiet der Donau ins Schwarze Meer, finden sich die Überreste der letzten Leprainsel Europas. Hier kann man allenfalls mit der Lupe Gemeinsamkeiten finden. Das Trennende dominiert.

Noch nie war das Gebiet links und rechts der Donau, von der Quelle bis zur Mündung, ein gemeinsamer Raum. Vor 2000 Jahren stellte die Donau die Grenze des Römischen Reichs dar, nördlich davon waren die Barbaren. Jahrhundertelang verlief irgendwo kurz hinter Budapest die habsburgische Militärgrenze. Und nur weil im August 1717 – also vor genau 300 Jahren – Prinz Eugen einmal kurz die Türken besiegte und Belgrad einnahm, muss man nicht gleich von einem gemeinsamen Raum der Donau reden. Was es bei langen Flussläufen durchaus gibt, ist eine punktuelle, themenbezogene Zusammenarbeit der Anrainerstaaten. Dabei geht es etwa um Schiffbarkeit oder Wasserdurchlassmengen. Das ist nichts Besonderes oder gar Einzigartiges der Donau. So wie es die Donaukommission gibt, gibt es eben auch die Nilbeckeninitiative oder gar die Mekong River Commission. Dabei geht es um Interessenausgleich. Von einem gemeinsamen Erbe, gar einer Schicksalsgemeinschaft kann man dabei wahrlich nicht sprechen.

Was es für die Donau tatsächlich gibt, ist die sogenannte EU-Donauraumstrategie. Dabei handelt es sich um einen makroregionalen Ansatz im Rahmen der EU-Regionalförderung zur besseren Verwendung und Optimierung von EU-Strukturgeldern. Ironischerweise gibt es keine Studie oder Untersuchung, die den Mehrwert eines solchen makroregionalen Ansatzes belegen würde. Viele der heutigen Bekenntnisse zum Donauraum scheinen darüber hinaus der einfachen Tatsache geschuldet, dass man damit eben Zugang zu EU-Geldern erhält. Die Beschwörung eines mystischen Donauraums führt also zur schnelleren Errichtung einer benötigten Donaubrücke. Angesichts der anstehenden Halbzeitüberprüfung der EU-Strukturförderungen und spätestens nach den bereits absehbaren Kürzungen bei diesen EU-Geldtöpfen nach 2020 wird sich zeigen, was vom politischen Bekenntnis zum Donauraum bleibt, wenn das Geld aus Brüssel nicht mehr üppig fließt.

Wer im 21. Jahrhundert noch ein Großraumkonzept wie jenes vom Donauraum propagiert, begibt sich auf argumentativ dünnes Eis. Diese Art Raumkonzepte werden nicht zum Selbstzweck beworben. Nur weil ein paar Wiener Großbanken und Versicherungskonzerne in diesem Raum ihre geschäftliche Zukunft wähnen, sollte man jedenfalls nicht das Narrativ vom gemeinsamen historisch ableitbaren Kulturraum konstruieren. Aber offensichtlich wiegen Geschäftsinteressen doch manchmal mehr, und man sieht dann auch gleich leichter über so manche politische Irritation wie etwa das politische System eines Victor Orbán hinweg. Im Zweifel schlägt das Donauraumkonzept dann auch schon mal demokratische und rechtstaatliche Mindeststandards.

Die Idee vom Donauraum – genauso wie der schwammige Traum von Mitteleuropa – hat auch nicht unbedingt ein Alleinstellungsmerkmal. Überall in Europa werden diese ominösen Ansätze aus vergangenen Zeiten wieder aufgewärmt. Der Mare-Nostrum-Ansatz der italienischen Faschisten wird genauso wie die Drei-Meere-Initiative eines klerikalen Großraumpolens aus der Mottenkiste der Geschichte hervorgezaubert.

Warum Österreich sich nun bemüßigt fühlt, in dieser Gesellschaft ausgerechnet den Donauraum zu propagieren, bleibt dahingestellt.

In Wahrheit ist der Traum von Mitteleuropa längst ausgeträumt. Was bis zum Ende des kommunistischen Ostteils Europas für manche klischeemäßig kettenrauchende Berufsdissidenten als imaginierter Strohhalm zum politischen Überleben gedient hat, hat sich heute überlebt. Die Donau taugt allenfalls für nostalgieschwangere Rückblicke.

Trotzdem erzählt Erhard Busek unbeirrt auch weiterhin sein Märchen vom Donauraum. Vom mystischen Sehnsuchtsort, da irgendwo im Herzen des Kontinents. Das Besondere an Märchen ist und bleibt aber, dass sie nicht der Wahrheit entsprechen. Egal wie oft man sie erzählt. (Stefan Brocza, 7.9.2017)