Ungarns Premier Viktor Orbán tat am Donnerstag so, als habe er nichts gehört: Auf das Luxemburger Urteil ging er persönlich zunächst nicht ein, dafür aber mehrere Vertreter seiner Partei.

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Die Niederlage vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Sachen Umverteilung von Asylbewerbern hat den ungarischen Premierminister Viktor Orbán nicht überraschend getroffen. Nach der Abweisung der Klage Ungarns und der Slowakei gegen die diesbezüglichen EU-Beschlüsse von 2015 am Mittwoch äußerte er sich zunächst gar nicht. Am Donnerstag sprach der Rechtspopulist auf einer Wirtschaftsveranstaltung, um die angeblichen Erfolge seiner Wirtschaftspolitik zu rühmen. Über den Luxemburger Spruch verlor er kein Wort.

Erst Freitagfrüh meldete er sich zu Wort. Er habe das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zur Verteilung von Flüchtlingen zur Kenntnis genommen, sagte er im staatlichen Rundfunk. Gleichzeitig betonte er aber auch, dass Ungarn kein Einwanderungsland werde. Aus dem Urteil folge nicht, dass "wir einfach hinnehmen müssten, mit wem wir zusammenleben sollen, denn darüber werden wir Ungarn bestimmen", betonte Orbán. "Die Einwanderungsländer wollen uns ihre Logik aufzwingen, aber wir haben niemanden zu uns eingeladen, wir wollen kein Einwanderungsland werden."

Schon zuvor bespielen seine Parteikollegen die gesamte Klaviatur der medialen Entrüstung. Außenminister Péter Szijjártó erkannte schon am Mittwoch im Urteil der Luxemburger Höchstrichter eine "Vergewaltigung" des europäischen Rechts. Lajos Kósa, der Fraktionschef der Orbán-Partei Fidesz, legte am Donnerstag nach: "Der EuGH hat der Europäischen Kommission den Weg zur Umsetzung des Soros-Plans gewiesen." Der "Soros-Plan" ist in der Orbán-Welt eine verschwörerische Intrige des US-Milliardärs und Demokratieförderers George Soros. Dieser würde darauf abzielen, Europa mit Migranten zu überschwemmen, um die Völker des Alten Kontinents ihrer "christlichen und nationalen Identität" zu berauben.

"Verlust Europas"

Zsolt Bayer, ein mit Orbán befreundetes Urmitglied der Fidesz, schrieb in seinem Kommentar im Regierungssprachrohr "Magyar Idök" vom "Verlust Europas". Mit den vom EuGH-Urteil bestätigten Asylbewerberquoten würden die westlichen Kernländer der EU ihre "Schuld" aus den Kolonial- und Sklavenhalterzeiten, "ihren Schmutz und ihr Verbrechen gleichmäßig über die gesamte EU verschmieren", ereiferte sich Bayer. Ostmitteleuropa mache da nicht mit. "Eine Verteilung nach Quoten wird es nämlich hier niemals geben! Niemals!"

Tatsächlich wird Orbán das Luxemburger Urteil ignorieren. Schon seit Juni läuft ein Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission gegen Ungarn, Tschechien und Polen, weil sich diese Länder demonstrativ weigern, den Beschluss von 2015 umzusetzen. Der EU-Migrationskommissar Dimitris Avramaopoulos kündigte indes an, dass die Kommission noch ein paar Wochen abwarten werde, um dann das besagte Verfahren gewissermaßen zu beschleunigen und mit einer Klage gegen die renitenten Mitgliedsländer vor den EuGH zu ziehen. Der Spruch vom Mittwoch wird ihr als starke Handhabe dienen.

Munition für den Wahlkampf

Ungarn wird dann – das ließ Justizminister László Trócsányi durchblicken – darauf plädieren, dass die Frist zur Umsetzung des Beschlusses am 26. September abgelaufen sein wird. Damit würde seine Gültigkeit nicht mehr bestehen. Letztlich ist das aber ein juristischer Winkelzug. Der EuGH könnte Ungarn und die anderen dann tatsächlich zur Aufnahme von Asylbewerbern verpflichten. Wenn diese weiter ablehnen, können sie in einem weiteren Verfahren zu hohen Geldstrafen verurteilt werden.

Das nächste EuGH-Urteil wird aber gewiss nicht vor April nächsten Jahres erfolgen. In Ungarn stehen da Neuwahlen an. Orbán und seinen Leuten bietet sich das als willkommene Wahlkampfmaterie. Ein schwebendes EU-Verfahren über die "Migrationsfrage" lässt sich bestens ausschlachten. Orbán wird sich weiter als "Verteidiger" seines Landes gegen den "Brüsseler Moloch" inszenieren können.

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker setzt indes auf ein Treffen mit Orbán. Beide kämen beim EU-Digitalgipfel in Tallinn am 29. September zusammen, sagte Junckers Sprecher Margaritis Schinas am Freitag. Die Kommission wolle sich auf jeden Fall nicht an einem "verbalen Ping Pong" beteiligen. (Gregor Mayer aus Budapest, red, 7.9.2017)