Nach Wien Zugereiste tun sich mit der "richtigen" Aussprache von Meidling samt Wiener Monophthongierung und Meidlinger L oft lange schwer.

APA/Herbert Pfarrhofer

Wien – Wir alle kennen das Phänomen: In Deutschland aufgewachsene Menschen, die als Erwachsene nach Österreich übersiedeln – oder umgekehrt – tun sich schwer, die Feinheiten des Dialekts zu erlernen, auch wenn sie es wollen. In der Bundeshauptstadt etwa stellen die Wiener Monophthongierung und ein bestimmter lateral apikal-dentaler Konsonant für zugereiste Personen größere linguistische Herausforderungen dar.

Was damit gemeint ist, lässt sich an der Wienerischen Aussprache von "Meidling" recht einfach erläutern: Aus dem Zwielaut (Diphtong) ei wird ein gedehntes e (also ein Monophthong), und mit dem lateral apikal-dentaler Konsonant ist sprachwissenschaftlich schlicht das Meidlinger L gemeint.

Ständige Akzentanpassungen

Auch wenn das Erlernen eines Dialekts oder eines entsprechenden Akzents zur Lebensaufgabe werden kann, an der nicht wenige scheitern, so verändern die meisten von uns ständig den Akzent – "zum Beispiel am Telefon", wie der Linguist Peter Graff (Institut für Sprachwissenschaft der Uni Wien) am Telefon erklärt. "Wenn wir mit jemandem telefonieren, dann passen wir unseren Akzent automatisch an, um vom Gegenüber besser verstanden zu werden." Klingt verständlich.

Gibt es aber auch so etwas wie mittelfristige Akzentveränderungen? Das hat Graff kürzlich mit Morgan Sonderegger (McGill University in Montreal) und Max Bane (University of Chicago) an besonderen sprachwissenschaftlichen Studienobjekten untersucht: zwölf Teilnehmern der britischen Ausgabe von Big Brother, die aus verschiedenen Teilen Großbritanniens kommen, entsprechend unterschiedliche Dialekte sprechen, sich zuvor nicht kannten und bis zu drei Monate lang zusammenlebten.

Sprachmaterial aus dem Sprechzimmer

Um die Frage zu klären, wie sehr sich in diesem Zeitraum deren Akzente wandelten, nahm das Forschertrio insgesamt 14,5 Stunden Sprachmaterial auf, das aus dem "Diary Room", also dem Sprechzimmer im Big-Brother-Haus stammte. Das ist jener Raum, in dem sich zwölf Teilnehmer alleine an Big Brother wenden, wodurch eine Veränderung des Akzents aufgrund unmittelbarer Interaktion mit anderen Teilnehmern ausgeschlossen ist.

Dieses Sprachmaterial wurde unter anderem linguistisch annotiert und mit der im Internet frei zugänglichen Phonetik-Software "Praat" im Detail nach fünf Akzentverschiebungen analysiert. Dabei zeigte sich zum einen, dass tägliche Veränderungen bestimmter Laute praktisch die Norm sind, während mittelfristige Wandlungen über Wochen und Monate nicht so oft vorkamen – und die Gründe für Veränderungen alle andere als eindeutig waren, berichten die Forscher im Fachmagazin "Language".

Uneinheitliche Anpassungsprozesse

Ob es zu Anpassungen des Akzents kam, war nicht einfach eine Folge von Gruppenbildungen oder von sozialen Ähnlichkeiten, sondern hing in erster Linie von den Personen selbst ab, wie Graff erklärt. "Auch beim Erlernen von Sprachen tun sich manche eben leichter." Insgesamt klang das Englisch der Teilnehmer am Ende Trotz der wochenlangen Interaktion nicht ähnlicher.

Es gebe also so etwas wie konservative Sprach- und Dialekterhalter, sagt Graff. Und insofern könne er die Befürchtungen auch nicht teilen, dass ein "homogenisiertes" Fernsehdeutsch dazu führen würde, dass Dialekteigentümlichkeiten des Österreichischen verschwinden könnten. (tasch, 9.9.2017)