Alice Weidel und Alexander Gauland sind die Spitzenkandidaten der Alternative für Deutschland. Der Einzug der AfD in den Bundestag kann als fix angesehen werden, es geht nur noch um die Stärke.

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Der erste Applaus an diesem regnerischen, schon recht herbstlichen Abend gilt im oberbayerischen Wolnzach nicht dem Stargast, sondern dem Hopfenhotel, in dem die AfD ihre Wahlkampfveranstaltung abhalten darf und kann. Es sei gar nicht so einfach, überhaupt wo unterzukommen, klagt der lokale AfD-Mann. So groß sei der Widerstand.

Aber jetzt ist die Welt in Ordnung. Man blickt in eine gut gefüllte Hotelhalle, Schweinsbradln werden gereicht, Bier fließt sowieso. Zwei gepflegte Damen mittleren Alters klagen über Flüchtlingskinder, die im Bus alten Leuten den Sitzplatz wegnehmen. "Ein Skandal", seufzt die eine. "So geht es nicht weiter", die andere.

Sie sind hier wegen "dem Unbehagen". Das sei so ein Gefühl, sagt die eine, "dass man einfach nichts mehr gilt, dass so vieles im Land in Unordnung geraten ist". Und sie sind neugierig auf Alice Weidel, die AfD-Spitzenkandidatin.

"Alice im Gauland", spottete der Spiegel, als die 42-jährige Ökonomin im Frühjahr gemeinsam mit AfD-Vizechef Alexander Gauland (76) zum Spitzenduo für die Wahl gewählt wurde. Damit war auf den Punkt gebracht, was auch mancher in der AfD dachte: Chef ist Gauland, Weidel macht das "freundliche Mädchen".

Ein Irrtum. Weidel ist im Hopfenhotel noch nicht lange auf der Bühne, da sagt sie bereits lautstark und unter Applaus über Kanzlerin Angela Merkel: "Diese Frau gehört nach ihrer Amtszeit vor ein ordentliches Gericht gestellt." Denn, was Merkel "dem Land angetan" habe, sei "eine Schande".

"Bürger zweiter Klasse"

Rechtsbrüche bei der Eurorettung, Rechtsbrüche in der Flüchtlingspolitik. "Die Bilanz ist verheerend", ruft Weidel und ist noch lange nicht fertig mit den Missständen. "Unser Gehalt wird besteuert und weginflationiert, es gibt keine Zinsen, die Rentenversicherung ist nicht mehr tragfähig." Dann natürlich die vielen Flüchtlinge. "Man kommt sich vor wie ein Bürger zweiter Klasse."

"Genau so ist es!", rufen die beiden Damen begeistert und nicken zufrieden, als Weidel erklärt, ein Langzeitarbeitsloser müsse erst darlegen, dass er kein Vermögen habe, bevor er staatliche Leistungen bekommt, und dann hinzufügt: "Ein Flüchtling muss nichts nachweisen."

Die Bedrohung wird immer größer in der Hotelhalle, viele ordern noch zu trinken, denn Weidel hat noch mehr zu berichten – was für Aufregung sorgt. Ob man wisse, warum Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) eine Grenze für Bargeldzahlungen möchte? Weil er alle Finanzgeschäfte kontrollieren wolle. "Er weiß genau, was Sie machen", sagt Weidel und versichert, dass die AfD Bargeld erhalten wolle: "Bargeld ist geprägte Freiheit, geprägter Datenschutz."

Überhaupt wird es jetzt atmosphärisch wieder heller im Raum, denn Weidel sagt: "Ich bin eine typische Wutbürgerin." Und sie engagiere sich, "weil wir mit dem Zustand in diesem Land nicht mehr einverstanden sind". Ob die AfD am 24. September in den Bundestag kommt, ist längst nicht mehr die Frage – es geht nur noch um die Stärke. Derzeit wird sie bei acht bis zehn Prozent gesehen.

Zerfetzte Jeans? "Alles klar!"

Als Weidel mit ihrer Rede fertig ist, gibt es in lockerer Runde noch ein paar Wortmeldungen. Jemand erzählt, dass dauernd AfD-Plakate zerstört werden. Aber jetzt wisse man, wer es war. Eine junge Frau "mit mehreren Ohrringen und zerfetzten Jeans". Murren im Saal. Man weiß Bescheid.

Ein jüngerer Mann sagt, er sei seit 2016 AfD-Mitglied und recht zufrieden. Aber fast alle seien zwischen 40 und 60 Jahren. "Wie kann man Junge besser begeistern?", fragt er und klagt in so breitem Bayerisch, in der Schule werde ja vermittelt, die AfD sei "rechtsradikal", dass Weidel sehr lachen muss. Doch auch sie weiß: "Es ist in der Tat schwierig." Sie empfiehlt dennoch, an Infoständen das Gespräch mit jungen Menschen zu suchen. Und sie rät: "Werden Sie Lehrer." Es meldet sich noch eine ältere Frau: "Ich bete, dass Sie gewinnen. Aber ich habe Angst, dass die Leute sich wehren und es zu Blutvergießen kommt. Wir sind fast in der DDR." Kurzes Schweigen, dann meint Weidel: "Das war ein schönes Schlusswort." (Birgit Baumann aus Wolnzach, 8.9.2017)