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Wo immer die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel bei Wahlveranstaltungen in den neuen Bundesländern auftritt, wird sie von Demonstranten mit Pfiffen und Trillerpfeifen "begrüßt". Es fallen dann Worte wie "Volksverräterin", zudem ertönt immer wieder der Ruf "Merkel muss weg".

Foto: Reuters / Fabrizio Bensch

Man sieht viel Schwarz-Rot-Gold in der ockerbraun-grau gehaltenen Max-Schmeling-Halle im ostdeutschen Strasburg. Die örtliche CDU hat massenhaft Wahlprogramme mit Deutschlandflagge für den großen Tag, an dem Angela Merkel kommt, ausgelegt.

Eine Fahne jedoch sticht heraus. Es ist jene mit Trauerflor, die von einer Frau, ungefähr in Merkels Alter, geschwenkt wird. "Ich mache mir Sorgen um Deutschland", sagt sie, "ich trauere, dass es nicht mehr so sein wird wie früher". Und dann fügt sie gleich hinzu: "Ich bin aber kein Nazi."

Die "Vermischung der Rassen" stört sie. Zwar räumt sie ein, dass hier im südlichen Mecklenburg-Vorpommern die Gefahr nicht so wirklich groß sei. Aber: "Es geht mir ja nicht nur um mein Dorf, ich denke an ganz Deutschland." Bei der Bundestagswahl am 24. September wird sie AfD wählen.

"Normale deutsche Bürgerin"

Eines jedoch macht sie an diesem Nachmittag in Strasburg nicht. Sie schreit nicht, sie pfeift nicht, sie brüllt auch nicht lautstark. "Nein", sagt sie, "ich bin ja eine ganz normale deutsche Bürgerin".

Den Protest übernehmen andere. "Merkel muß (sic) weg" steht auf einem Transparent, das junge Männer vor dem Eingang halten. "Merkel muss weg", ruft auch jemand. Die Kanzlerin kennt das schon. Vor allem bei ihren Auftritten im Osten wird sie von lautem Protest begleitet. Der Ruf erinnert an jenen des Jahres 1989. Damals hieß es "Die Mauer muss weg!"

In Merkels Tross erzählt man, dass der Protest von ganz links wie ganz rechts kommt. Und dass Busse voller Demonstranten durch das Land gefahren werden, damit diese dann mit Trillerpfeifen die Auftritte der Kanzlerin stören.

Manchmal wirkt Merkel kurz genervt, aber sie hat noch jede Kundgebung durchgezogen. Mittlerweile bezieht sie die Störer schon in ihre Reden ein. "Die Anhänger der AfD tun außer schreien und pfeifen nichts auf den Plätzen. Das hat mit Demokratie nichts zu tun. Sie tragen zu keiner Lösung bei", sagt sie in Strasburg.

Keine Möglichkeit für Arbeit

Aber Merkel räumt hier, in diesem nicht eben prosperierenden Landstrich, auch ein: "Ich weiß, dass wir in einer Region sind, in der viele Menschen nach der Einheit gerne gearbeitet hätten, aber es keine Möglichkeit gab."

In Strasburg ist keine Rede von ihrem Hauptwahlslogan vom Deutschland, "in dem wir gut und gerne leben", vom BIP-Wachstum und der niedrigen Gesamtarbeitslosigkeit. Merkel sagt vielmehr: "Es ist wichtig, sich gerade in dieser Region um die Zukunft zu bemühen.

Dann zählt sie auf, was man noch alles verbessern müsse, "wenn wir soziale Sicherheit garantieren wollen". Man werde Geld für Umschulungen geben, für bessere ärztliche Versorgung, für Breitbandausbau. Es sind Dinge, die in Berlin selbstverständlich sind. Nur 130 Kilometer ist die Hauptstadt von Strasburg entfernt. Gefühlt sind es 10.000.

Protest im Saal

Junge Männer in Schwarz zücken plötzlich auf der Tribüne Plakate, auf denen der Gast aus Berlin wie auf einem Fahndungsfoto abgebildet ist. "Merkel muss weg" steht darauf. Langsam gehen sie nun durch den Saal, rufen "Volksverräterin" und wiederholen den Text vom Plakat.

Eigentlich hatte sich die CDU von diesem ersten Auftritt in einer Halle nach dem Lärm auf den Marktplätzen eine kleine Erholungspause erhofft. Zu Hilfe war ihr der Regen gekommen, deshalb hatte man die Veranstaltung kurzfristig vom Sportplatz verlegt. Außerdem hatte jemand in der Nacht "Merkel, hau ab! Zwölf Jahre sind genug" mit Pflanzengift in den Rasen "geschrieben".

"Hab's verstanden", sagt Merkel lakonisch zu den Störern. Doch die Mehrheit in der Halle reagiert viel schärfer und brüllt den Plakatträgern "Haut ab! Haut ab!" entgegen. Diese verlassen dann recht schnell die Halle.

Humanitäre Notlage

"Ich kann verstehen, dass viele sich allein gefühlt haben, als die Flüchtlinge kamen", sagt Merkel dann ruhig. Doch sie habe in einer "humanitären Notlage" so handeln müssen. In den Flüchtlingslagern im Libanon, der Türkei und in Jordanien hätten Menschen nur mit einem Dollar pro Tag auskommen müssen und "Kinder sind jahrelang nicht in die Schule gegangen".

Es ist jetzt doch sehr ruhig, als Merkel erklärt: "Es ist nicht unsere Aufgabe, nur an uns zu denken." Dafür gibt es sogar Applaus, genauso aber für den Hinweis, dass man in Berlin "wesentliche Verschärfungen der Sicherheitsgesetze" gemacht habe.

Trotzdem Merkel

Von draußen dringen jetzt wieder vereinzelt Pfiffe, doch Merkel ist ohnehin beim Schluss und äußert ihre Bitte: "Diskutieren Sie mit Nachbarn und Arbeitskollegen. Haben Sie nicht die Hand in der Tasche und wählen in Wut irgendwen, sondern überlegen Sie, ob es nicht eine Partei gibt, die Probleme lösen will."

Und es gibt hier in Strasburg natürlich auch viele "Merkel-Fans". Ein älteres Ehepaar beispielsweise, das zwar hier im Landkreis "längst nicht alles in Ordnung" findet. Das aber unisono meint: "Trotzdem wählen wir Merkel. Denn wer sonst soll es denn besser machen als sie? Es gibt ja keinen." (REPORTAGE: Birgit Baumann aus Strasburg, 9.9.2017)