Klytaimnestra (Anja Herden) in rasender Angst um ihr Kind.

Foto: Lupi Spuma

Wien – Ein wenig erinnert das Setting von Iphigenie in Aulis an den letzten Urlaub in Griechenland: brütende Hitze, tätowierte Jungs und aalglattes Wasser in der Bucht (Bühne: Damian Hitz). Doch hier soll, wenn es nach Euripides geht, eigentlich Krieg geführt werden. Regisseurin Anna Badora eröffnet die Spielzeit des Volkstheaters mit Soeren Voimas Fassung von Iphigenie in Aulis (sprachlich upgedatet und um einen Mädchenchor erweitert). Gekoppelt hat sie das Stück, in dem die Menschen zum Krieg hindrängen, an ein Werk von heute: Occident Express von Stefano Massini. In diesem erzählt eine Frau von ihrer lebensgefährlichen Flucht von Mossul nach Stockholm anno 2015.

Es ist kein geringer dramaturgischer Schachzug, diese beiden Texte zusammenzuführen, sie ineinander zu spiegeln, die Kriegsgier mit den Kriegsfolgen zu konfrontieren. Die Überlegung zeigt, dass das Volkstheater nach Eigenem sucht und es auch kreiert, anstelle gehypte Texte nachzuspielen, dass es Konzepte wagt, die sich unserer unmittelbaren Gegenwart stellen. So war das bereits im Vorjahr mit der Adaption des Zeitenwenderomans Das Narrenschiff. An die Idee kommt die Umsetzung aber nicht heran.

Als Stücktandem bleibt ein jedes für sich, sie werden lediglich addiert. Allein die Schauspieler sind der Link: Nachdem sie Feldherrenhelm und Königinnenkleid aus dem Iphigenie-Teil abgelegt haben, übernehmen sie in Occident Express gemeinschaftlich die Erzählerinnenposition von Haifa, jener Frau, die samt Enkelin aus dem Nahen Osten nach Europa fliehen muss.

In Iphigenie in Aulis wird ein Familienkonflikt vor beeindruckender Wasserbeckenkulisse samt dahinter thronenden, aber leider mausetoten Ventilatoren ausgestritten: Vater Agamemnon (Rainer Galke) zeigt sich bereit, die eigene Tochter (Katharina Klar) für reichlich Wind in den Segeln zu opfern; Mutter Klytaimnestra (Anja Herden) mitnichten. Der gehörnte Menelaos (energisch: Lukas Holzhausen) – ihm wurde Helena geraubt, was den Krieg erst entfachte – liefert sich mit Agamemnon eine heftige Wet-T-Shirt-Schlägerei ("Du kotzt mich an!").

Sie alle waten im knöcheltiefen Wasser, das ihnen in Wahrheit bis zum Hals steht. Trotz Frauenpower – Herden zieht ihr patschnasses Schleppenkleid kräftig und würdevoll durchs Wasser – geschieht, was geschehen muss: Es regnet Blut auf das Kind.

Nach der Pause startet dasselbe Team mit Occident Express in ein abenteuerliches Erzähltheater, in dem sämtliche Schauspielerkörper die Torturen der Flucht anschaulich erleiden. Sie zwängen sich bis auf die Unterwäsche entkleidet in einen Glaskubus, kriegen eine Ladung Öl (aus einer stillgelegten Leitung, die als Fluchtweg dient) übers Haupt oder müssen als Pfand für den Schlepper Drogen schlucken.

Da verzettelt sich Badora, die alle Schritte dieser Flucht genau ausspielt und ob der Spannung der abenteuerlich geschilderten Geschichte inklusive Jugo-Slang an der mazedonischen Grenze ganz darauf vergisst, dass sie mit Flüchtlingsfolklore eigentlich nichts am Hut haben will. Aber genau die stellt sich ein: Seht her, so grausam war es, aber ich habe es geschafft. (Margarete Affenzeller, 11.9.2017)