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Die Nordkorea-Krise ist derzeit das bestimmende Thema der US-Außenpolitik – Donald Trump und Kim Jong-un sind deren Protagonisten.

Foto: AP Photo/Ahn Young-joon

STANDARD: Die Nordkorea-Krise hat sich zuletzt stark zugespitzt. Droht uns ein Krieg?

Lindsay: US-Präsident Donald Trump steht vor einer ganzen Reihe unschöner, schwieriger Entscheidungen. Jahrzehntelang haben die US-Regierungen und ihre Alliierten Nordkorea davon abzubringen versucht, eigene Atomwaffen zu entwickeln und diese auch einzusetzen. Diese Bemühungen sind gescheitert. Nordkorea beeilt sich momentan, eine Kapazität zu entwickeln, tatsächlich atomar bestückte Langstreckenraketen abzufeuern. Dieses Regime ist aggressiv und feindlich gesinnt. Diplomatische Bemühungen haben bis jetzt nicht funktioniert. Aber vielleicht wird im letzten Moment doch noch etwas passieren, etwa in New York im UN-Sicherheitsrat.

STANDARD: Wie ernst ist die Lage?

Lindsay: Ich glaube nicht, dass es irgendjemanden in Washington, Seoul, Tokio oder auch in Peking gibt, der nicht den Ernst dieser Situation begreifen würde. Das gilt auch für die Konsequenzen, die es gäbe, würde man militärische Kraft einsetzen, um Nordkoreas Atomwaffenprogramm zu beenden. Denn Pjöngjang hat zwar die Möglichkeiten, diese Krise zu entschärfen – aber es hat auch die Kapazität, sie eskalieren zu lassen.

STANDARD: Wenn Sie sagen, die Diplomatie habe bisher versagt, dann meinen Sie wohl nicht nur jene von Barack Obama, sondern auch jene von George W. Bush und Bill Clinton, oder?

Lindsay: Korrekt. Trump kann mit Fug und Recht sagen, dass sein Vorgänger Obama das Problem hätte lösen sollen, es aber nicht gelöst hat. So konnte auch Obama das Gleiche sagen über Bush – und dieser wieder über Clinton. Im Grunde können wir zurückgehen bis Harry Truman und Dwight D. Eisenhower nach dem Zweiten Weltkrieg (1945–53 bzw. 1953–61, Anm.). Diese Krise hat sich über Generationen entwickelt. Und in all diesen Jahrzehnten sind militärische Optionen als zu kostspielig oder zu verlustreich bewertet worden. Immer gab es Hoffnung, dass Diplomatie dazu führen könnte, eine Lösung zu finden.

STANDARD: Und das ist jetzt anders?

Lindsay: Nun, Nordkorea hat mittlerweile eindeutig atomare Kapazitäten. Und es treibt sehr rasch seine Kapazitäten voran, diese tatsächlich einsetzen zu können.

STANDARD: Trump hat wiederholt China dafür kritisiert, in Sachen Nordkorea zu passiv, zu zögerlich zu sein. Stimmt dieser Standpunkt? Wenn ja: Warum verhält sich Peking in dieser Weise?

Lindsay: Diese Frage müsste man eigentlich China stellen, aber aus Perspektive der USA ist es eindeutig: Peking hat einen einzigartigen, exklusiven Hebel gegenüber Pjöngjang. China war aber bisher nicht willens, diesen Hebel auch wirklich effizient, also mit ganzer Kraft, einzusetzen. Warum das so ist, darüber gibt es verschiedene Vermutungen. Manche meinen, China verfüge zwar über einen längeren Hebel als die USA; man wisse dort aber, dass er immer noch nicht lang genug sei, um effizient angesetzt zu werden. Eine noch negativere Denkschule ist, dass China ein nuklear bewaffnetes Nordkorea lieber sei als ein befriedetes, vereinigtes Korea. Dies würden aber die USA anstreben.

STANDARD: Ein riskantes Spiel ...

Lindsay: Ja, sogar ein sehr riskantes Spiel. China hat in den vergangenen Monaten zwar den Druck auf Nordkorea erhöht, aber es könnte sich herausstellen, dass das alles zu wenig war – und außerdem zu spät kam. Nicht nur das Verhältnis zum Westen, auch die chinesisch-nordkoreanischen Beziehungen erweisen sich als sehr kompliziert.

STANDARD: Ein weiteres heikles außenpolitisches Thema für Trump ist Russland. Dachte er wirklich, dass sich die bilateralen Beziehungen verbessern würden, wenn er erst einmal im Amt sein würde?

Lindsay: Natürlich kann ich nicht sagen, was der Präsident denkt oder glaubt. Ich kann nur auf Dinge hinweisen, die er bisher sagte. So wie im Wahlkampf, als er von Plänen für ein neues Verhältnis zu Moskau sprach. Er blieb allerdings – das muss man dazusagen – immer sehr vage, was er damit eigentlich meinte und was er sich von Russland erwartete. Eindeutig war nur, dass er darauf hoffte, Russlands Zusage zur Zusammenarbeit im Kampf gegen den internationalen, islamistischen Terrorismus zu bekommen.

Einmal im Amt, hatte Trump damit zu kämpfen, seine Hoffnung und seine Ambitionen in eine konkrete politische Linie zu transformieren. Das kam vor allem deshalb so, weil im Kongress die Demokraten, aber genauso Republikaner meinten, Russland müsse dafür bestraft werden, in den US-Wahlkampf eingegriffen zu haben. So kam es zu den neuen Sanktionen des Kongresses gegen Moskau.

Heute sehen wir, dass es regelrecht eine Kluft gibt zwischen den Positionen, die Trump gegenüber Moskau einnimmt, und jenen des Kongresses. Dazu muss man aber auch sagen, dass es der Kreml Trump bisher nicht leichter gemacht hat, die Beziehungen tatsächlich zu verbessern. So werden jene Stimmen konkreter und erhalten auch mehr Gewicht, die Trumps Meinung zu Russland kritisieren – aber auch jene zu Europa, zu seiner Nahostpolitik.

STANDARD: Gutes Stichwort. Welcher Stellenwert wird denn Europa in der Außenpolitik des Weißen Hauses eingeräumt?

Lindsay: Trump fühlt sich in der transatlantischen Politik nicht in dem Maße Institutionen und Verträgen verpflichtet wie seine Vorgänger in den Jahrzehnten seit dem Zweiten Weltkrieg. Er steht multilateralen Institutionen generell skeptisch gegenüber. Er bevorzugt es, Dinge bilateral anzupacken. Er ist auch sehr skeptisch gegenüber der Europäischen Union, das sieht man an seiner Haltung zum Brexit. Auch persönliche Erfahrungen spielen da hinein. So schrieb er Probleme mit seinem Golfresort in Schottland der EU zu.

So gesehen ist Trump ein ganz anderer Präsident, als es Obama und dessen Vorgänger waren. Andererseits darf Trump gerechtfertigterweise darauf hinweisen, dass es auch in vergangenen Jahrzehnten immer wieder gehörige Differenzen in den transatlantischen Beziehungen gab. So gab es ja starke Auffassungsunterschiede während der Präsidentschaft von George W. Bush 2000 bis 2008. Die Beziehungen verbesserten sich in der Folge wieder. Die Frage ist, wie sich das Verhältnis unter Trump entwickeln wird, ob wir vielleicht am Beginn einer neuen Ära stehen. Ob das gut oder schlecht wäre? Es ist zu früh, um das schon jetzt sagen zu können. Es könnte etwas sehr Positives herauskommen – oder aber auch etwas sehr Pessimistisches.

STANDARD: Im multilateralen Bereich kritisiert das Weiße Haus ja unter anderem auch den in Wien zustande gekommenen Iran-Deal. Nicht nur Trump, auch die US-Botschafterin an den Vereinten Nationen, Nikki Haley, sorgen hier immer wieder für Aufmerksamkeit. Sind die USA drauf und dran, diesen Vertrag tatsächlich zunichte zu machen?

Lindsay: Präsident Trump ist sehr deutlich und transparent in dieser Angelegenheit: Er lehnt diesen Atomdeal ab. Er hegt ganz offen Zweifel daran, dass Teheran sich an den Vertrag hält – und er will daher nicht bestätigen, dass sich der Iran an den Deal hält. Das wäre allerdings im Oktober fällig. Die Frage ist, ob er bei seiner Haltung bleiben wird, und das werden wir erst im Oktober herausfinden.

Trump jedenfalls hat sich bisher weder von seinen Geheimdiensten noch von den US-Alliierten oder der Atomenergiebehörde IAEA überzeugen lassen, dass alles vertragsgemäß läuft. Dieses Thema wird noch sehr große Auswirkungen auf die transatlantischen Beziehungen der USA haben. Auch wenn der Präsident einräumen sollte, dass sich der Iran an den Vertrag hält, wird er andere Wege suchen und beschreiten, um den Druck auf den Iran zu erhöhen. Und das könnte manche Verbündete der USA – vor allem in Europa – dann doch irritieren. (Gianluca Wallisch, 12.9.2017)