Brüssel/Wien – Im laufenden Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen wegen der dortigen Justizreform hat die Europäische Kommission am Dienstag die nächste Stufe eingeleitet. Konkret bedeutet das, dass Brüssel einen weiteren Brief nach Warschau sendet, in dem die Kommission auf ihren bereits im Juli geäußerten Vorbehalten gegen die Reform beharrt. Ein Antwortschreiben aus Warschau hat die Kommission als unzureichend erachtet.

Polens Führung wird nun dazu aufgefordert, innerhalb eines Monats die nötigen Maßnahmen zu treffen, um die Bedenken zu zerstreuen. Andernfalls, so die Drohung aus Brüssel, könnte der Fall vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) landen.

Unabhängigkeit der Gerichte

Die Vorwürfe der Kommission richten sich unter anderem gegen die Vollmacht des Justizministers, die Amtszeit von Richtern, die das Pensionsalter erreicht haben, nach eigenem Ermessen zu verlängern sowie Gerichtspräsidenten zu entlassen. Dadurch würde die Unabhängigkeit der polnischen Gerichte unterminiert, heißt es in einer Erklärung auf der Website der Europäischen Kommission.

Insbesondere die "vagen Kriterien für die Verlängerung" der Mandate sowie das Fehlen von Fristen für einen solchen Beschluss würden dem Justizminister Einfluss auf einzelne Richter geben.

Nicht betroffen von dem neuen Schritt der Kommission ist der derzeitige Dialog zwischen Warschau und Brüssel, der allgemein als Vorstufe zu einem möglichen Rechtsstaatlichkeitsverfahren nach Artikel sieben des EU-Vertrags gilt und theoretisch bis zum Stimmrechtsentzug für Polen führen könnte. Kommissionsvizepräsident Frans Timmermans will die Mitgliedsstaaten am 25. September über den Stand der Dinge in jenem bereits seit Jänner 2016 andauernden Prozess informieren. (Gerald Schubert, 12.9.2017)