So ein Wahlkampf kann schon schlauchen. Im Fernsehen werden die Gesichter austauschbar, auf Plakatwänden schön langsam auch. Und viele brauchen etwas länger, bis ihnen das auffällt.

Foto: Hydra-zine.at
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Corinna Milborn hat es prophezeit: Wir erleben einen Fernsehwahlkampf. Es gibt sogar so viele TV-Duelle, dass für besonders interessante die Zeit fehlt. So hat Strache keine Zeit für Pilz. Bei einem Burschenschafter-Duell müsste er Zeit haben, der Ehre halber. Zum Ausgleich gibt es politische Fernsehfilmproduktionen aller Art. "Die Hubers" aus der Feder des Lyrikers Kickl kompensiert auf dramatische Weise, woran es der FPÖ auf ihrer Liste mangelt: Frauen, die Verantwortung übernehmen wollen. Kanzler Kern zeigt sich als Social-TV-Demokrat beim Zustellen jener Pizza, die wir uns holen sollen, weil sie uns zusteht. Oder er versetzt sich in amerikanische Serien, um seine New-Economy-Ästhetik zu verdeutlichen.

Es ist also ein Fernsehwahlkampf, die Meta-Moderation könnte von Wolfgang Fellner stammen, so spannend ist das alles. Es ist nur einer fern des Parlaments. Das Fernsehparlament auf ORF 3 ist ja grundsätzlich von mageren Zuseherquoten geprägt, lächerlich im Vergleich zur Selfiemenge, die Stars wie Schmid und Kurz absolvieren. Bei dem vielen Schauspiellachen muss man sich ja fast schon Sorgen um die Physiognomie der jungen Stars machen.

Das zielt ab aufs zentrale Problem unserer Demokratie, nämlich dass die meisten Leute Politiker eher vom Kirtag kennen als von dort, wo sie in tatsächlich freier Wildbahn zu beobachten sind, dem Parlament. Auch wenn sie oft nur stummes Stimmvieh darstellen. Es wäre ja fast eine "neue" Methode, Politiker an ihrem Parlamentarismus zu messen. Peter Pilz gibt da sicherlich eine analytisch brisante politische Figuration. Allein der gegen ihn von seiner damaligen Fraktion erhobene Vorwurf, in jedes Mikrofon zu beißen, zeigt die mangelnde Interdisziplinarität der parlamentarischen Bereichssprecherkultur.

Doch der Staat ist interdisziplinär, die Menschen erleben das Tag für Tag. Das steht und fällt mit der Erkenntnis, dass Staatstheorie spätestens seit 1989 tendenziell out ist. Pilz etwa stammt aus einer politischen Sozialisation, die den Staat als Idee verachtete und mit ihm auch den Parlamentarismus als bürgerlich-kapitalistisch abqualifizierte. Die Zivilgesellschaft wurde zum Ersatz der Staatsidee, ein Begriff, dessen Unschärfe dazu führt, dass ihn mittlerweile sogar Rechtsextremisten verwenden können. Andererseits bleibt die faschistische Polemik gegen das Parlament als Quatschbude in Erinnerung, zuletzt dem Schauspieltalent Karl-Heinz Grasser "passiert".

Guter Parlamentarismus bietet Aufklärung über den Staat, so müsste definiert werden. Aufklärung ist ja auch im Sinne der Geschichtsepoche ein beliebtes Wort. Strache verwendet den Begriff ab und zu, um auf den Islam zu schimpfen, der angeblich keine haben soll.

Postmoderner Napoleon

Aufklärung ist das, was den Westen angeblich eint. Brexit und Trump sprechen da dagegen. Macron, demokratische Hoffnung einer vermeintlichen Harmonisierung von Ökonomie, Philosophie und Politik, hat seinen Machiavelli und Hegel studiert und weiß, wie geschichtsträchtig eine lebendige Synthese zwischen Place de la Concorde und Place de la Bastille sich im Fernsehen inszenieren lässt.

Aber die Physiokratie, das Wirtschaftsmodell der französischen Aufklärung, scheint vergessen. Vielleicht diskutiert Macron im Salon manchmal über den pikant handhabbaren kulinarischen Unterschied von England und Frankreich und dessen womöglich tiefere ökonomische Ursachen. Aber als postmoderner Napoleon, der Frankreich in seinem napoleonischen Parlamentarismussystem progressiviert, reitet er als Weltgeist zu Pferd nur auf dem Feld zwischen Pfizer und Nestlé.

Hinsichtlich des österreichischen Beispiels bleibt zu erwähnen, dass ein paar Blümchen bezüglich Staatstheorie wachsen. Von einem Trend kann freilich nicht gesprochen werden, da der Kontext der New Economy nicht verlassen wird.

Der unternehmerische Staat, den Kern propagiert, bleibt mit dem Faktum verbunden, dass etwa die Staatsbahnen ein Unternehmen mit CEO sind und Wettbewerb betreiben, vor allem mit sich selbst. Neos-Chef Strolz, ein Avantgardist der Metaphorik, sprach unlängst vom athletischen Staat, mit Muskeln an der richtigen Stelle: so als ob es Muskeln an den falschen Stellen überhaupt gäbe. Ihm sei die Anregung gewidmet, dass sein Hobby, Bäume zu umarmen, den Gedanken an einen Staat birgt, der wie ein Baum umarmt werden kann. Das wäre durchaus physiokratisch, da könnte er sich französischer als Macron branden.

Prohaska-Analyse

Auch bei der Betrachtung des Parlamentarismus leistet die Metaphorik einen Gewinn: das Fernsehen als Ausleuchten des Staates. Sehenswert dokumentierter Parlamentarismus fungiert analog zur Aufklärung. Das Gesetz als sprachliche Ausformung bedarf einer neuen philologischen Qualität, als kritischer Kommentar im Sinne Kants. Die Lesungen des Nationalrats sind poetisch zu markieren. Simples Reproduzieren parlamentarischer Bilder durch den Boulevard, mit Ereignissen wie einer sich schminkenden Eva Glawischnig, genügt hier nicht. Es braucht Analyse mit (tages)zeitlichen Ressourcen, die einem Herbert Prohaska, Wolfram Pirchner oder Klaus Eberhartinger locker zur Verfügung stehen.

Die Parlamentssendung des ORF Hohes Haus findet ja offenbar immer noch unter der Annahme statt, dass am sonntäglichen Mittagstisch über Politik diskutiert wird. Eine Idee wäre für den ORF etwa ein Rückblick auf die Beschlüsse der vergangenen Legislaturperiode. Das darf sogar "Highlights" genannt werden. Auch die Innovationskraft der Privaten ist gefragt und bietet die Möglichkeit zur Avantgarde.

So muss eine neue Basis der Demokratie geschaffen werden, unsere totalitär gefährdete Zeit wird es uns danken. Ein gut dokumentiertes Parlament ist die Selbstkontrolle der Staatsangehörigen, die sich im Staat erkennen wollen. Das ist Staatsinteresse Nummer eins.(Uwe Matuschka, 14.9.2017)