Gunilla Heilborn (li.) mit Ensemble, u. a. vom Theater im Bahnhof.


Foto: Heilborn / Theater im Bahnhof

Graz – Im ältesten erhaltenen Buch über die römische Theorie der Rhetorik hat die schwedische Choreografin und Filmemacherin Gunilla Heilborn eine bis heute brandaktuelle Textstelle gefunden: "Weil im Normalfall einige Bilder stark, scharf und geeignet sind, die Erinnerung zu wecken, und andere so schwach und kraftlos, dass sie das Gedächtnis kaum zu stimulieren vermögen, müssen wir uns mit der Ursache dieser Unterschiede befassen, um zu wissen, welche Bilder wir meiden und welche wir annehmen sollen."

Dieses Zitat aus dem vierbändigen Werk Rhetorica ad Herennium, das von einem unbekannten Autor in den Achtzigerjahren vor Christus verfasst wurde, hat Heilborn ihrem jüngsten Stück The Wonderful and the Ordinary, das jetzt beim Steirischen Herbst uraufgeführt wird, vorangestellt. Die Auseinandersetzung mit der Wirkung von Bildern hat also nachgewiesenermaßen eine lange Geschichte. Daran sollte man sich auch inmitten der Bilderwüsten unserer Gegenwart erinnern.

Worüber Gunilla Heilborn (53) nun zusammen mit drei Mitgliedern des Grazer Theaters im Bahnhof sowie einer Performerin und einem Tänzer aus Schweden arbeitet, ist genau das: Wie und warum erinnern wir uns woran? Welche Sensationen prägen sich ein, und welche unauffälligen Gewöhnlichkeiten setzen sich fest? Dazu schreibt Heilborn: "Der Fokus liegt hier auf der Arbeitsweise des Gedächtnisses: Wie Fakten sich wandeln und wie wegen unseres endlosen Bedürfnisses nach Narrativen manchmal das Flüchtige fixiert wird."

Als Gast in bester Erinnerung

Heilborn ist immer wieder zu Gast beim Herbst. In bester Erinnerung bleiben Stücke wie Potato Country (2007), This is not a love story (2011) oder Gorky Park 2 (2014), stets ein wenig kühl, immer ziemlich ironisch. Und in ihrer hinreißenden Lecture-Performance The Knowledge hat sich Heilborn damit auseinandergesetzt, was wir unter Wissen verstehen oder uns dabei unverständlich bleibt. Bei The Wonderful and the Ordinary, das eben keine Lecture ist, könnten trotzdem wissenschaftliche Quellen mitspielen.

Sicher jedenfalls wird im Stück ein Videofilm von Mårten Nilsson gezeigt. Und ebenso wird es sehr unauffällige Elemente geben, die sich in die Zuschauergedächtnisse schwindeln, und einige beeindruckende Szenen, die man doch wieder vergisst. Eine Erinnerung: Heilborn hat bereits bei The Knowledge die Methode des Gedächtnispalasts vorgeführt, die nun bei The Wonderful and the Ordinary eine ganze Bühne formen soll. (Helmut Ploebst, Spezial, 15.9.2017)