Der FDP-Wahlkampf ist völlig auf Parteichef Christian Lindner zugeschnitten. Er ist derzeit noch Fraktionschef in Nordrhein-Westfalen, will aber nach der Wahl nach Berlin wechseln.

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"Glaubst du, er tritt in Schwarz-Weiß auf?" Melanie, Jusstudentin, kichert. Ihre Freundin grinst ebenfalls und schmachtet übertrieben: "Christian, ich will eine Opposition von dir!" Man wartet in der Potsdamer Schinkelhalle auf FDP-Chef Christian Lindner. Mancher nippt am Sekt, man trägt Seidentücher und Perlenketten, manche sind so gekleidet, als müssten sie danach schnell auf die Yacht. Aber jetzt gibt es erst einmal eine Art Popkonzert und davor zur Einstimmung einen Film.

Dieser zeigt vor allem: Lindner. Müde, abgehetzt, nachdenklich – und immer schwarz-weiß. In Berlin sagen viele: Es ist der beste Wahlspot in diesem Wahlkampf, anders als die der anderen Parteien. Er wird auch viel geklickt, und das kann Lindner nur recht sein.

Seine FDP hat harte Jahre hinter sich. 2009 war sie mit Guido Westerwelle, der 2016 verstarb, mit fulminanten 14,6 Prozent und vollmundigen Versprechungen für große Steuersenkungen in den Bundestag gezogen.

Wenig Interesse

Doch in der schwarz-gelben Koalition unter Kanzlerin Angela Merkel konnte sie nichts durchsetzen. 2013, der Schock: Die Liberalen flogen aus dem Bundestag, dem sie seit 1949 durch gehend angehört hatten. Niemand mehr interessierte sich für sie, Lindner tingelte lange Zeit unbeachtet von den Medien über die Dörfer.

"Manchmal muss dich jemand zwingen, neu anzufangen. Weil du dann neu denken musst", sagt seine Stimme im Clip. Dann steht der 38-Jährige auf der Bühne und wird von seinen Anhängern mit großem Applaus begrüßt.

"Echte Opposition"

Dieser steigert sich noch, als sich Lindner gleich die Konkurrenz vornimmt. Grüne und Linke – "so langweilig wie eingeschlafene Füße". Die große Koalition "hat keine großen Probleme gelöst". Aber jetzt gebe es ja bald wieder echte Opposition im Bundestag, sagt er. Nämlich die FDP, die in Umfragen zwischen acht und zehn Prozent liegt.

Als Lindner über Digitalisierung spricht, ertönt Gelächter. "Der Akkustand ist niedrig" erscheint auf der Leinwand hinter ihm, beabsichtigt war das nicht. Aber Lindner baut es gleich in seine Rede ein: "Wenn der Akkustand in der Schule niedrig ist, kann man das nie wieder aufholen." Digitalisierung und Bildung, das sind seine Themen.

Jobs durch Digitalisierung

"Wir werden durch die Digitalisierung Millionen Arbeitsplätze verlieren, aber wir werden auch Millionen neue schaffen", erklärt er und geht dabei auf der großen Bühne herum. Weißes Hemd, keine Krawatte, der Anzug so tailliert wie jener von Sebastian Kurz oder Karl-Theodor zu Guttenberg. Lindner birst fast vor Energie.

Architekt Peter, seit Jahrzehnten FDP-Wähler, ist durchaus angetan. "Ich finde die FDP gut, weil sie niemandem vorschreibt, wie man leben soll, und auf Eigenverantwortung setzt", sagt er. Aber er findet, die FDP müsse sich mehr um "normale Leute" kümmern. Und ihm missfällt, dass der Wahlkampf komplett auf Lindner zugeschnitten ist: "Klar, in der Opposition musst du zuspitzen. Aber das ist mir zu viel Personenkult."

"Dutzend Millionen Menschen dazwischen"

Apropos "normale Leute". Auf deren Beachtung legt auch Lindner größten Wert. "Es wird so viel über Ränder gesprochen. Über Flüchtlinge und Superreiche", klagt er. Er will lieber "über die paar Dutzend Millionen Menschen dazwischen" reden, "die sehr viel arbeiten und abgeben".

Lindner weiß, welches Image der FDP immer noch anhaftet: dass sie die Partei der sozialen Kälte ist und sich nur um Reiche sorgt. Daher hat er jetzt in seinem Wahlkampfgepäck auch den Polizisten und die Krankenschwester.

"Der Traum vom Eigenheim darf nicht ein Luxus für wenige sein", sagt er, sondern er müsse auch für den Polizisten und die Krankenschwester erschwinglich sein. Das gelte übrigens genauso für Wertpapiere. Diese nämlich sollten zur Privatvorsorge dienen.

Und die Digitalisierung bringe auch dem Stuckateur Chancen. Der nämlich könne gut verdienen, wenn er die "Wohnung des IT-Experten hübsch macht".

"Dornige Chancen"

Grundsätzlich lautet sein Credo: "Keine Biografie darf eine Sackgasse werden, aus der man sich nicht durch Tüchtigkeit befreien kann." Griffig formulieren kann er. Das zeigt auch ein Video, das der Stern gerade ausgegraben hat. Es stammt aus dem Jahr 1997, man sieht den 18-jährigen Lindner in Anzug und im geliehenen Benz.

Porträtiert für die Deutsche Welle wurde der Jungliberale, weil er schon als Schüler eine PR-Firma hatte. Seine Lebensphilosophie lautete damals, Probleme seien nichts anderes als "dornige Chancen".

i&u TV

In Potsdam spielt er zum Schluss bei seiner Bitte um Stimmen dann doch noch einmal auf das Image der FDP an und sagt: "Wenn Sie Bundesligaprofi oder TV-Star sind, können Sie von uns keine größere Entlastung erwarten." Die FDP kämpfe jetzt für den Mittelstand. Und er verspricht für die Zeit nach der Wahl: "Sie können mich festnageln: Wir werden wieder Fehler machen, aber nicht dieselben, wir denken uns neue aus." (Birgit Baumann aus Potsdam, 15.9.2017)